30. April 2024
Anleger vor Charts: Folgt das Marktgeschehen einfachen Börsenweisheiten?

Börsenweisheiten: Was dran ist und wie sich falsche Annahmen erkennen lassen

„Sell in May and go away“, „The trend is your friend“ – diese Börsenweisheiten sind wohlbekannt. Doch sind sie auch hilfreich?

Ratschläge sind wie alte Kleider: Sie passen zwar, aber tragen mag man sie nicht. Nicht anders verhält es sich mit Börsenweisheiten. Über die Jahre und Dekaden haben sich so einige Bonmots herausgebildet. Wer kennt nicht „Sell in May and go away, but remember to come back in September“ und „The trend is your friend“. Was hat es damit auf sich? Wohnt dem ganzen Geraune vermeintlicher Börsenexperten eine tiefere Wahrheit inne oder ist das alles Quatsch? Wir begeben uns einmal auf Spurensuche.

Der Mai hat begonnen und alle sind ganz aufgeregt: Sollte man nun alles verkaufen und dem Markt fernbleiben? Oder ist ein Buy-and-Hold-Ansatz die bessere Alternative, um der Saisonalität zu begegnen? Fakt ist: Hierzu gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die vergleichsweise klar in eine Richtung zeigen. In unserem Wissensbereich haben wir uns speziell der Sell-in-May-Thematik gewidmet und recherchiert, wo die Börsenweisheit ihren Ursprung nahm.

Tipp: In unserem Wissensbereich haben findest du unseren ausführlichen Text zum Sell-in-May-Phänomen.

Was bringen die Börsenweisheiten? Röhl rechnet!

Einen Spoiler wollen wir hier schon einmal geben. Nämlich den nach der Rendite. Schauen wir also einmal, was im Monat Mai und den folgenden Sommermonaten renditeseitig in der Vergangenheit möglich war. Dabei aber bitte nicht vergessen, dass ein Blick in die Historie kein zuverlässiger Indikator für Entwicklungen in der Zukunft ist. Dennoch können Anlegerinnen und Anleger aus der Vergangenheit lernen. Vor allem, wenn sie lange Zeitreihen betrachten. Für das konkrete Beispiel hat Investor und Anlegerschützer Christian W. Röhl den weltweit anlegenden MSCI World Index unter die Lupe genommen.

Tipp: Hier erfährst du, wieviel Rendite ETFs bringen und ob sich Sicherheit und Rendite gegenseitig ausschließen.

Seit 1970 bis ins Jahr 2023 hat er für jeden Monat die höchste und niedrigste Rendite herausgesucht und die durchschnittliche Median-Rendite ermittelt. Dabei zeigt sich, dass der Mai mit 1,2 Prozent im direkten Vergleich gar nicht so übel abschneidet. Die Monate Februar, März, Juni, Juli, August und Oktober fallen mit Blick auf die Rendite enttäuschender aus. Unter dem Strich waren Renditen von Null bis ein Prozent möglich. So gesehen hätten Anlegerinnen und Anleger zumindest kein Geld verloren. Besonders interessant: Der Monat September – also der Monat, in dem alle wieder an die Börse zurückkomen sollten – weist in dem von Röhl betrachteten 53-Jahres-Zeitraum im MSCI World eine negative Rendite von -1,2 Prozent auf. In unserem Wissensartikel haben wir den US-amerikanischen Leitindex S&P 500 untersucht.

Wieder eine Börsenweisheit: Ist der Trend wirklich dein Freund?

Häufig heißt es „The trend is your friend“. Wieder eine dieser Börsenweisheiten. Demnach sollten Anlegerinnen und Anleger dem folgen, was an der Börse gespielt wird. Steigen die Kurse, heißt es: Rein in die Märkte. Fallen die Notizen, soll verkauft werden. Doch wie lässt sich eine Trendfolge-Strategie effizient und kostengünstig umsetzen? Schwierig! Um sich der Thematik anzunähern, nutzen einige Anlegerinnen und Anleger die 200-Tage-Linie. Hierbei handelt es sich um einen gleitenden Durchschnitt, der extreme Ausschläge im Chart glättet. Wer beispielsweise den Dax-Chart anschaut und die 200-Tage-Linie darüber legt, kann theoretisch Ein- und Ausstiegssignale festmachen. Schneidet nämlich der Dax-Chart die 200-Tage-Linie von unten nach oben, ist tendenziell mit steigenden Kursen zu rechnen. Schneidet er die Trendlinie von oben und sinkt, sollten die Kurse fallen. Häufig rechnen Trendfolge-Fans eine Toleranz von bis fünf Prozent ein und handeln dann, um Fehlsignale möglichst zu vermeiden.

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Das System hat allerdings entscheidende Schwächen. Und zwar dann, wenn der Chart rapide Ausschläge nimmt. Wie im Dax am 26. Oktober 2020 geschehen. An dem Tag durchstößt der Chart die 200-Tage-Linie bei einem Stand von 12.210 Punkten von oben. Wer einen Dax-ETF besaß und die Strategie umsetzen wollte, wird am 28.10. bei einem Stand von 11.500 Punkten (fünf Prozent Toleranz) verkauft haben. Das wäre allerdings sehr, sehr unglücklich gewesen. Denn von diesem Zeitpunkt an, steigt das deutsche Leitbarometer wieder und kreuzt die 200-Tage-Linie nur fünf Tage später wieder von unten. Bedeutet: Der Verlust im Dax wurde durch die Strategie gar nicht minimiert. Im Gegenteil. Bei der folgenden Aufwärtsbewegung waren Anlegerinnen und Anleger nicht voll dabei. Zudem mussten binnen etwa einer Woche zwei Mal Handelsgebühren für einen Trade bezahlt werden, der unter dem Strich ausschließlich Verlust gebracht hat. Die 200-Tage-Linien-Strategie ist demnach nichts für Anfänger, verursacht durch zahlreiche Trades hohe Kosten und ist extrem zeitaufwändig. Dann kann man auch gleich zu einem Dax-ETF greifen und einen Buy-and-Hold-Ansatz verfolgen.

Warum Plausibilität nichts mit Wirklichkeit zu tun hat

Fakt ist: Börsenweisheiten sind ein interessantes Thema. In einer Welt, die zu einem großen Teil auf Zahlen, Daten und wissenschaftlichen Betrachtungen fußt, scheinen sie einen interessante Ergänzung zu sein. Menschen neigen zu einfachen Lösungen. Und Börsenweisheiten machen genau das. Sie verkürzen eine große Fragestellung auf eine einfache Formel – unglücklicherweise häufig auch mit wissenschaftlichem Anstrich. Wie können sich Anlegerinnen und Anleger schützen? Dazu zwei Gedanken. Der erste zeigt den Zusammenhang bzw. Gegensatz von Wahrnehmung und Wirklichkeit. Der zweite hat mit deinem Depot zu tun. 

Wahrnehmung und Wirklichkeit? Das klingt pathetischer und mehr nach Matrix reloaded als es tatsächlich der Fall ist. In unserem Interview mit Verhaltensökonom und Entscheidungsexperte Dr. Hartmut Walz gibt es dazu praktische Beispiele und eine Handreichung, wie wir zumindest versuchen können, nicht auf Täuschung hereinzufallen. 

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Beispiel: Häufig werden „Statistiken“ zitiert, in denen es heißt, dass Verheiratete eine längere Lebenserwartung haben. Wer verheiratet ist, hat eine Partnerin oder einen Partner, man ergänzt sich und  kann den Herausforderungen des Lebens als Team begegnen. Klingt plausibel, ist aber nicht wahr. Denn tatsächlich verhält es sich so, dass in der Gesamtheit der betrachteten Verheirateten Personen per se zu einem Großteil vergleichsweise gesunde Menschen vertreten sind. Menschen mit Erkrankungen oder Drogensüchtigen wird es sehr wahrscheinlich viel schwerer fallen einen Partner zu finden. Daher sind sie in der Gruppe der Verheirateten unterrepräsentiert. 

Was haben Unverheiratete mit der Dividendensaison zu tun?

Was können wir von dieser Fehlannahme lernen? Vor allem, das es wichtig ist, Narrative zu hinterfragen. Dann lassen sich Trugschlüsse wie die der Verheirateten Menschen mit der langen Lebenserwartung entlarven und umgehen. Nicht anders funktioniert es mit Börsenweisheiten. Gibt es einen Grund, in den Sommermonaten den Markt zu verlassen? Ist er plausibel? Ist er wahr? Und vor allem: War er jemals wahr? Wenn es also heißt, dass Anleger in den Sommermonaten den Markt verließen, weil die Dividendensaison vorbei war und alle Gewinne mitnahmen, um sich im anstehenden Urlaub nicht mehr mit den Auf und Abs der Börse beschäftigen zu müssen, kann man das zumindest einmal hinterfragen. 

„Wenn einem die Launen der daheim gebliebenen Börsianer wirklich die Sommerfrische vermiesen, sollte man mal ganz grundsätzlich checken, ob die Aktienquote zur persönlichen Risikopräferenz passt“, schreibt treffenderweise Christian W. Röhl. Hier lohnt ein Besuch des Risiko-Kapazitätsrechners auf extraETF.com. Anschließen können Anlegerinnen und Anleger systhematisch ihr persönlich passendes Portfolio aufbauen.

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