4. November 2023
IPOs: Börsengänge in Deutschland – das Ende vor dem richtigen Anfang?

IPOs: Börsengänge in Deutschland – das Ende vor dem richtigen Anfang?

Börsengänge waren eine Weile nach ein großer Renner. Doch das scheint längst vorbei zu sein, wie das Beispiel von Birkenstock verdeutlicht.

Es war ein denkwürdiger Herbsttag Mitte Oktober in New York: Der Sandalenhersteller Birkenstock ging an die Börse. Die Chefs läuteten pünktlich zum Handelsbeginn die Glocke. Die Stimmung war gut. Und dann passierte: nichts.

Es dauerte fast vier Stunden, bis der erste Kurs zustande gekommen war. In den USA werden zwar grundsätzlich erst einmal Aufträge zum Aktienkauf bei einem Börsengang gesammelt, bis der Kurs veröffentlicht wird. Dass es so lange dauert wie bei Birkenstock, ließ dann aber doch aufhorchen.

Börsengänge: Schlappe für den Schlappenmacher

Und mit der Bekanntgabe setzte Ernüchterung ein: 41 US-Dollar der erste Kurs – nach einem Ausgabepreis von 46 US-Dollar. Eine Schlappe für die Schlappenmacher. Für Börsen-Experten ein schlechtes Zeichen: Die Hoffnungen auf weitere Börsengänge waren groß. Auch wenn Birkenstock den weltgrößten Börsenplatz New York statt Frankfurt für sein Debüt gewählt hatte. Auch wenn kürzlich der Getriebe-Hersteller Renk nur zehn Stunden, bevor er die Börsenglocke in Frankfurt läuten wollte, einen Rückzug gemacht hat. Auch wenn einige Unternehmen lieber auf 2024 schielen als jetzt noch über das so genannte Listing nachzudenken.

Deutschland „nicht konkurrenzfähig“

Vor allem Börsengänge deutscher Unternehmen im Ausland, allen voran in den USA zeigen, dass der Kapitalmarkt in Deutschland „nicht konkurrenzfähig ist“, kommentierte Dr. Christine Bortenlänger, geschäftsführende Vorständin des Deutschen Aktieninstituts. In den USA stünden den Unternehmen über den Kapitalmarkt viel mehr Geld zur Verfügung. „Auch in Deutschland muss mehr Geld über die Kapitalmärkte zur Verfügung gestellt werden“, erklärt sie. Auch in der privaten Altersvorsorge müssten Aktien ein fester Bestandteil werden.

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Doch ob es weitere Börsengänge geben wird in nächster Zeit, hängt von der Großwetterlage ab, sagt Robert Halver, Leiter der Kapitalmarkt-Strategie der Baader Bank. „Das Beispiel Renk hat gezeigt, dass Börsengänge eine positive Stimmung brauchen.“ In diesem Jahr dürften demnach weniger IPOs anstehen, nicht zuletzt wegen des Nahost-Konflikts. Doch die Investoren würden den Blick bereits ins nächste Jahr richten: „Im Vorfeld der Präsidentschaftswahl spekulieren auch die Börsen auf den Ausgang, außerdem dürfte die Weltkonjunktur zumindest etwas besser laufen“, sagt Robert Halver und resümmiert: „2024 sind mehr Börsengänge denkbar.“

Kandidaten für die Börse gibt es einige: Der Tankkarten-Servicedienstleister DKV soll in den Startlöchern stehen, das Verkehrsunternehmen Flix, hierzulande bekannt für seine Flixbusse, die Parfümerie-Kette Douglas.. Gelungene Börsengänge gab es allerdings auch bereits in Frankfurt. Zum Beispiel den des Medikamenten-Verpackungsherstellers Schott Pharma aus Mainz. Die Aktie war im Herbst für 27 Euro ausgegeben worden, sie steht derzeit bei 32 Euro. Auch der Wasserstoff-Spezialist nucera, eine Abspaltung von thyssenkrupp,machte zunächst eine gute Börsenfigur, bis die Marktlage die Kursgewinne aufzehrte.

Künftig wieder bessere Zeiten?

Doch diese beiden IPOs „könnten den Auftakt für eine wieder regere IPO-Tätigkeit bilden, auch wenn das Emissionsvolumen bislang deutlich hinter den Vorjahren zurückbleibt“, resümiert PwC-Experte Stephan Wyrobisch noch Anfang Oktober. Er rechnet vor: Bis Ende September lag das Volumen aus den bislang drei IPOs im Jahr 2023 bei rund 1,4 Milliarden Euro. Im Gesamtjahr 2022 spielten vier Börsengänge 9,4 Milliarden Euro ein, wovon allerdings allein auf den Börsengang von Porsche 9,1 Milliarden Euro entfielen. Wyrobisch blickt dennoch optimistisch nach vorn: „Die im abgelaufenen Quartal erfolgreich abgeschlossenen Transaktionen stimmen uns weiterhin zuversichtlich, dass auch im Schlussquartal 2023 und insbesondere im ersten Halbjahr 2024 weitere IPOs folgen werden.“

Doch andere rutschten auch ordentlich auf dem Börsenparkett aus: etwa die IONOS Group, deren Kurs heute deutlich tiefer steht als zum Börsenstart. Und viele Unternehmen versuchten es erst gar nicht in Frankfurt: BionTech, der Impfstoff-Hersteller, ging ebenso in New York an die Börse wie Konkurrent Curevac. Linde, immerhin jahrelang in Frankfurt und New York gelistet, hat sich in diesem Jahr für die Wall Street als Börsenstandort entschieden und verschwand in Frankfurt aus Dax und Kurslisten.

Viele Unternehmen finanzieren sich in Deutschland nicht über die Kapitalmärkte. Das Rückgrat der Wirtschaft, der Mittelstand, besteht häufig aus Familien-Unternehmen. Sie setzen eher auf den Kreditmarkt. So müssen sie sich nicht in die Karten schauen lassen, wie es geschäftlich läuft, da sie nicht an der Börse gelistet sind und eben nicht jedes Quartal Rechenschaft ablegen müssen.

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Steht nun zu befürchten, dass weitere Unternehmen, wenn sie denn den Sprung auf’s Parkett wagen, lieber den New Yorker Börsenboden wählen? Nun, für die meisten Investoren ist New York die erste Wahl: Dort ist das Kapital, dort ist eine entsprechende Investment-Kultur seit Jahrzehnten fest verankert, dort Investoren auch viel mehr Kleinanleger an der Börse als hierzulande. Das bestätigt auch Kapitalmarkt-Experte Robert Halver: „In den USA finden Unternehmen eine deutlich bessere Liquiditätsversorgung vor.“ Dass mehr deutsche Unternehmen dort den Sprung aufs Börsenparkett wagen, findet er nachvollziehbar.

Und tatsächlich fällt die Erfolgsbilanz der Wall Street entsprechend positiv aus: Mehr als 100 Börsengänge hatte New York bereits in diesem Jahr, vier waren es in Frankfurt. In New York sorgte vor allem der Chipausrüster Arm für Furore: Zum Start gab es Kursgewinne von gut 20 Prozent. Die inzwischen aber auch mehr als aufgezehrt sind.

Also, Achtung: Zeichnungsgewinne sind schön und gut, wenn es sie denn gibt, doch Börse funktioniert langfristig. Alter Kalauer, aber wahr.