27. Juni 2022
Börse im zweiten Halbjahr: Was bewegt die Finanzmärkte? Teil 1

Börse im zweiten Halbjahr: Was bewegt die Finanzmärkte? Teil 1

Katastrophale Halbjahresbilanz an den Aktienmärkten: Der S&P 500 in New York steuert auf das schlechteste Börsenhalbjahr seit 1932 zu. Der DAX erleidet das schwächste Halbjahr seit der Finanzkrise. Worauf kommt es für die Finanzmärkte im zweiten Halbjahr an?

Seit Monaten sind die Börsen auf Talfahrt. Zu viel belastet die Finanzmärkte. Und das kann durchaus so weitergehen: Jochen Stanzl, Chefmarktanalyst von CMC Markets, bringt es auf den Punkt: „Wenn man das Ganze statistisch betrachtet, fällt auf, dass sich die großen Korrekturen im DAX in der Vergangenheit erst im zweiten Halbjahr ereigneten. Wiederholt sich Geschichte, könnte uns also noch einiges ins Haus stehen.“ Viele Faktoren kommen aktuell zusammen. Einige davon sind alte Bekannte.

Die Inflation: Sie bleibt hoch. Enorm hoch.

Preissteigerungen überall! Dass die Inflation nur vorübergehend  enorm hoch ist, wie viele Experten noch vor wenigen Monaten erwartet hatten, hat sich als böser Irrtum erwiesen. Die führenden Wirtschaftsinstitute sind deutlich pessimistischer geworden als noch vor wenigen Wochen: „Die Inflationsrate dürfte in diesem Jahr mit 6,8 Prozent den höchsten Wert seit dem Jahr 1974 erreichen“, prognostiziert das ifo-Institut in München. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) ist noch skeptischer und geht davon aus, dass Waren und Dienstleistungen in diesem Jahr in Deutschland im Schnitt um 7,4 Prozent teurer werden.

Im März hatte das Institut noch 5,8 Prozent Inflation erwartet. Mit dem Krieg in der Ukraine sind die Energiepreise enorm gestiegen. Die Lieferengpässe, die vor allem durch Corona in China anhalten, verschärfen das Problem zusätzlich. „Der Ukraine-Krieg belastet das Wirtschaftswachstum in Deutschland und der Eurozone“, erklärt Stefan Mütze von der Helaba. Die Energiekosten für Unternehmen und Haushalte verharre auf sehr hohem Niveau. In Shanghai kam es nach einer nur kurzen Lockerung erneut zu Ausgangssperren. „Positiv zu verbuchen sind die Lockerungen von Pandemiemaßnahmen in Europa, die Nachholeffekte erwarten lassen.“

Die Zinsen. Sie steigen weiter – Notenbanken drücken Panikknopf

Noch vor einem Jahr erwarteten die meisten Ökonomen eine Zinswende für die USA und erst 2023 für Europa. Doch das Blatt wendete sich schnell, musste sich schnell wenden: Um die Inflation zu bekämpfen, müssen die Notenbanken die Leitzinsen erhöhen. Die lockere Geldpolitik mit 11 Jahren niedrigen Zinsen ohne eine einzige Erhöhung in Europa ist aber Grund des Problems: Viel Geld konnte billig erworben werden, um Vermögenswerte zu kaufen und zu finanzieren, die immer teurer wurden: Aktien, Immobilien, Kryptos. Jetzt platzen viele Blasen.

Die FED in den USA hatte eigentlich genug Spielraum, der Inflation Herr zu werden. Nach der Corona-Pandemie war die US-Wirtschaft vergleichsweise gut erholt und der Arbeitsmarkt stabil. Doch sie hat ihre Möglichkeiten nicht genutzt: „Obwohl sie den Spielraum hatte, bewegte sich die FED 2021 erst mal gar nicht und dann nur im Schneckentempo“, kritisiert Patrick Franke von der Helaba. Aber genau das räche sich nun: Jetzt drücke sie den Panikknopf, müsse die Zinsen schneller und stärker erhöhen, um die Inflation in den Griff zu kriegen. Und dafür erhebliche wirtschaftliche Risiken hinnehmen: Nämlich Rezessionsrisiken für 2023 und 2024, warnt Patrick Franke. „Zinserhöhungen um 50 Basispunkte pro FOMC-Sitzung sind die neue Normalität“, fasst Franke zusammen. Sein Kollege Ulf Krauss erwartet fünf Zinserhöhungen von der EZB ab Juli.

Die Commerzbank fürchtet sehr steil steigende Zinsen: „Wir prognostizieren bis zum Jahresende 2022 einen Anstieg des EZB-Einlagensatzes um 125 Basispunkte auf 0,75 Prozent, und die obere Spanne des US-Leitzinses dürfte um 225 Basispunkte auf 4,00 Prozent steigen. Im Verlauf des Jahres 2023 sollte der EZB-Einlagensatz dann weiter auf 1,50 Prozent steigen. Für die USA erwarten wir dagegen bereits ab Mitte 2023 fallende Leitzinsen.“

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Die Konjunktur: Rezessionsängste in den USA. Vielleicht auch in Deutschland?

Dass steigende Zinsen die Konjunktur abwürgen, ist derzeit eine der enorm großen Sorgen an den Kapitalmärkten. Vor allem haben Anlegerinnen und Anleger dabei die USA im Fokus. Die Gefahr einer Rezession besteht für die größte Volkswirtschaft. Und so haben sich bereits an den Kapitalmärkten die Erwartungen an die wirtschaftliche Entwicklung dies- wie jenseits des Atlantiks mehr als halbiert. Die Volkswirte der Commerzbank etwa haben ihre BIP-Prognose für Deutschland im zweiten Halbjahr von 2,5 auf 1,0 Prozent gesenkt und erwarten für das erste Halbjahr 2023 in den USA eine Rezession. Aber: „In diesen bereits recht pessimistischen Prognosen ist noch nicht das Risiko eingearbeitet, dass Russland den Gashahn dauerhaft zudrehen könnte. Unsere Volkswirte befürchten, dass in diesem Risikoszenario ein Einbruch des deutschen Bruttoinlandsprodukts wie nach der Finanzkrise (2009: -5,7 Prozent) drohen könnte.“

Und auch die FED kann viel dazu beitragen, dass sich die Wirtschaft extrem abschwächt. Jochen Stanzl von CMC Markets erklärt die Zusammenhänge: „Angesichts der Gefahr, dass die Inflation in den USA außer Kontrolle gerät und die FED sich dem Vorwurf stellen muss, zu spät gehandelt zu haben, könnte sie nun übersteuern, was wiederum eine Rezession auslösen könnte. Die Investoren haben erkannt, dass die FED nicht mehr den Luxus hat, sich Zeit nehmen zu können.“

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Wenn die USA aber in eine Rezession abdriften, ist Europa nicht gefeit. Christian Sewing, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, sieht die Wahrscheinlichkeit einer globalen Rezession und auch in Europa bei 50 Prozent.  WENN die USA wirklich in eine solche Phase abgleiten, erwartet Morgan Stanley weitere Kursverluste am Aktienmarkt von 15 bis 20 Prozent. Der S&P 500 könnte auf 3.000 Punkte fallen.

Aber es lauern noch weitere Gefahren für die Finanzmärkte im zweiten Halbjahr. Es sind einige alte Begleiter wie etwa die Rohstoffpreise und Lieferengpässe. Doch inzwischen türmen sich weitere, neue Risiken auf. Eins davon ist die Berichtssaison zum zweiten Quartal. Mehr dazu liest du morgen in Teil 2.