21. Februar 2012

Das Recycling der Fluchtgelder

FRANKFURT (Börse Frankfurt). Die Kritik an den Transferleistungen der Gläubiger an die Schuldner im Euroraum ist ökonomisch nicht immer richtig. Die Transfers sind nicht nur ein Akt der Solidarität, sondern – zumindest teilweise – auch ein Recycling der Kapitalabflüsse aus den Ländern Südeuropas. Wenn Griechenland aus dem Euro austräte, wäre das für die Kapitalmärkte der Gläubigerländer keine wirklich gute Nachricht.

Noch ist unsicher, ob das neue Griechenlandpaket der Europäer in Höhe von 130 Milliarden Euro auch wirklich kommen wird. Aber wenn es der Fall sein sollte, dann gehen die Wehklagen über die hohen Zahlungen der Gläubiger an die Schuldnerländer wieder los. Die Währungsunion verkomme zu einer Transferunion. Sie sei ein Fass ohne Boden.

Wir kennen das. Es ist vor allem in Deutschland verbreitet. Ich möchte dazu einen Kontrapunkt setzen. Ich stelle die These auf, dass es bei den Zahlungen der Gläubiger an die Schuldnerländer nicht in erster Linie um einen Akt der Solidarität der Starken für die Schwachen geht. Darüber könnte man vielleicht diskutieren und dafür gibt es sicher Grenzen. Ökonomisch sind sie – zumindest zum Teil – ein Recycling von Geldern, die zuvor von den Schuldner zu den Gläubigerländern „geflüchtet“ sind. Die Schuldnerstaaten bekommen zurück, was ihnen vorher gehörte. Im Übrigen sind die Transfers auch ein Ausgleich dafür, dass die Finanzmärkte der Gläubigerstaaten von den Fluchtgeldern erheblich profitiert haben.

Normalerweise begründet man die Transfers damit, dass die Gläubigerländer Nutznießer der festen Wechselkurse in der Währungsunion sind. „Dafür müssten sie bereit sein zu zahlen“, betont die deutsche Bundeskanzlerin immer wieder. Dieses Argument steht aber auf nicht sehr stabilen Beinen. Es ist zwar richtig, dass der Euro der deutschen Wirtschaft im Exportgeschäft hilft. Der Nutzen ist aber bei Weitem nicht so groß, wie viele vermuten. Der Anteil der deutschen Exporte, die in den Euroraum gehen, liegt inzwischen unter 40 Prozent. Zu Beginn der Währungsunion betrug er noch 45 Prozent. Die deutschen Lieferungen in die rasch wachsenden Schwellenländer, vor allem nach China, nehmen trotz schwankender Wechselkurse erheblich schneller zu, als die Ausfuhren in die Länder des Euroraums.

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Mein Argument geht in eine andere Richtung. Es basiert auf den Kapitalabflüssen aus den südeuropäischen Ländern seit Beginn der Krise (nicht zuletzt aus Griechenland). Das müssen nicht nur Gelder von Steuerflüchtlingen sein. Es kann sich auch um ganz legale Anlagen von Investoren handeln, die Angst haben vor einem Austritt ihres Landes aus dem Euro und einer dann anschließenden Abwertung ihrer Währung.

Niemand weiß, um wie viel Geld es sich handelt und wo es überall hingeht. Glaubt man den Schätzungen, so sind es aber erhebliche Beträge. In die Schweiz sollen mehr als 200 Milliarden Euro gegangen sein. In Großbritannien wurden Immobilienkäufer aus Südeuropa beobachtet. Auch Deutschland ist so ein sicherer Hafen. Hier werden die Gelder unter anderem in Bundesanleihen geflossen sein, vielleicht auch in Immobilien.

Es ist verständlich, dass diese Gelder in einer Union zumindest den betroffenen Ländern wieder zukommen sollten. Angeblich verhandelt die EU derzeit mit der Schweiz, dass auch sie etwas von dem zurückgibt, was ihrem Finanzplatz zugeflossen ist. Es gibt hier aber noch einen anderen Aspekt. Die Kapitalflucht hatte erhebliche Auswirkungen auf die Finanzmärkte.

Erstens erhöhten sich die Zinsen in den Schuldnerländern (unabhängig von der risikobedingten Spread-Ausweitung), in den Gläubigerländern gingen sie zurück. In Deutschland ermäßigten sich die Renditen für zehnjährige Bundesanleihen von 3,4 Prozent auf 2 Prozent. Das verbilligt die Kreditaufnahme. Anleger in festverzinslichen Wertpapieren, erzielten deutliche Kursgewinne. Der Staat profitiert davon sogar in zweifacher Weise. Er spart Zinskosten und er erhält mehr Steuern.

Zweitens ist die Geldpolitik zum Ausgleich der fehlenden Liquidität in den südeuropäischen Peripherieländern lockerer, als dies für die Gläubigerländer an sich gerechtfertigt ist. Das ist ein schönes Zubrot für die Gläubigerstaaten. Die Senkung der Leitzinsen durch die EZB Ende letzten Jahres und die massive Ausweitung der Liquidität wären aus deutscher Sicht nicht erforderlich gewesen. Die Konjunktur würde keine solche Stütze brauchen.

Drittens wirken sich die Spannungen in den Schuldnerländern auf den Euro aus, dessen Wechselkurs schwächer ist, als er es eigentlich wäre. Anfang 2010 lag der Kurs noch bei etwa 1,45 US-Dollar. Seitdem ist er um 10 Prozent gefallen. Rein aus deutscher Sicht wäre eine solche Abwertung nicht gerechtfertigt. Sie hilft aber natürlich dem deutschen Export.

Viertens haben sich als Folge dieser Verwerfungen die Aktienmärkte der Schuldnerländer drastisch verschlechtert, die der Gläubigerstaaten haben dagegen profitiert.

All das rechtfertigt einen gewissen „Lastenausgleich“ zwischen den stärkeren und den schwächeren Mitgliedern des Euro. Natürlich haben die Schwächeren die Probleme durch ihre hohen Schulden selbst ausgelöst. Das müssen sie auch selbst korrigieren. Die Disziplin in der Währungsunion darf durch die Transfers auf keinen Fall aufgeweicht werden. Deshalb müssen sie immer mit Auflagen vergeben werden. Die Gläubiger sollten aber nicht von der Kapitalflucht aus den Schuldnerländern profitieren.

Für den Anleger

Viele sagen, dass es für die deutschen Kapitalmärkte gut wäre, wenn Griechenland aus dem Euro austräte und es dann – hoffentlich – zu einer Beruhigung der Situation in der Währungsunion käme. Nach dem, was ich hier gezeigt habe, sollte man da nicht so sicher sein, denn dann würden Gelder aus Deutschland wieder in ihre Heimat zurückgeholt werden. Die Renditen für Festverzinsliche Wertpapiere in Deutschland könnten wieder steigen. Die Europäische Zentralbank müsste nicht mehr so großzügig sein. Der Euro würde sich aufwerten (weil es weniger Mitglieder mit Problemen gäbe). Die Aktienkurse in Deutschland könnten sich zurückbilden.

© 16. Februar 2012/Martin Hüfner