19. April 2022
Die Deutschen und die Angst vor der Börse - das sind die Ursachen

Die Deutschen und die Angst vor der Börse - das sind die Ursachen

Wer in Zeiten von Nullzinspolitik und starker Inflation noch Rendite mit Erspartem machen will, kommt um ein Engagement an der Börse nicht herum. Doch die Deutschen sind noch immer zurückhaltend, wenn es um Aktien und Co. geht. Zu tief sitzt das Börsentrauma.

Doch woher kommt das überhaupt? Ist wirklich das Drama um die Telekom-Aktie, mit der viele Deutsche Geld verloren haben, die Ursache? Oder gibt es noch andere Gründe für die Zurückhaltung beim Thema Investieren?

Börsentrauma Erster Weltkrieg

Um das zu verstehen, müssen wir in der Geschichte einen großen Schritt zurückgehen, wesentlich weiter als bis ins Jahr 2001, als die Telekom-Aktie 90 Prozent an Wert verlor. Wir müssen ins Jahr 1914 blicken, als Ende Juli der Erste Weltkrieg ausbrach – für viele Menschen kam dieses Ereignis sehr überraschend. Die Börsen jedoch brachen bereits am 24. Juli 1914 erstmals ein, noch bevor der Krieg ausgebrochen war. Wertpapierhändler werteten die Geschehnisse rund um das Attentat von Sarajevo als Zeichen eines bevorstehenden Krieges – von schweren Kurseinbrüchen war in den Zeitungen zu lesen, von Werten, die „ohne jeden Halt“ seien, in London und New York war die Stimmung ebenfalls schwach.  

Dennoch glaubten viele Börsenexperten, dass der Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien sich nicht langfristig auf die Wirtschaft und den Wertpapierhandel auswirken würde. Ein folgenschwerer Irrtum. Viele Werte stürzten unmittelbar vor den ersten Kriegshandlungen bereits ins Bodenlose. Und nach Ausbruch des Krieges wurde die Deutsche Börse schließlich für die kommenden vier Jahre geschlossen. In diesen vier Jahren wurde ein großer Teil des privaten Vermögens vernichtet, angelegt in Aktien und Anleihen. Die wirtschaftlichen Folgen waren fatal.

Geldentwertung bis zur Hyperinflation

Als die Börse 1919 wieder eröffnete, schienen die Kurse sich zwar zunächst kaum von 1914 zu unterscheiden. Doch es gab einen wesentlichen Unterschied: Die Mark hatte nach dem Ersten Weltkrieg nur noch etwa zehn Prozent ihrer vormaligen Kaufkraft. Und es kam noch schlimmer. Die deutsche Reichsleitung hatte völlig fehlkalkuliert – unter der Annahme, den Krieg zu gewinnen und anschließend die Kosten von den besiegten Gegnern bezahlen zu lassen. Dazu kamen die Schadensersatzforderungen, die im Versailler Friedensvertrag festgelegt wurden. Deutschland war pleite – und brachte als Reaktion darauf immer mehr Geld in Umlauf, um den Zahlungen irgendwie nachkommen zu können.

Im Oktober 1922 lag der Wert der Mark nur noch bei einem Tausendstel ihres Wertes vom August 1914. Was folgte, war die Hyperinflation im Jahre 1923, die zu einem teilweisen Zusammenbruch der Wirtschaft und des Bankensystems führte.

Geld als Brennstoff

Ein Beispiel: Am 9. Juni 1923 kostete ein Ei 800 Mark. Am 2. Dezember desselben Jahres kostete ein Ei 320 Milliarden Mark. Das Geld wurde nicht mehr in Geldbörsen oder einfach der Hosentasche herumgetragen, sondern in Schubkarren transportiert. Es war so wertlos, dass es außerdem auch zum Heizen genutzt wurde. Was sich die Menschen mühsam erspart hatten, hatte keinerlei Wert mehr. Positiv war das lediglich für Schuldner – sie waren ihre Schulden auf einen Schlag los.

Doch für alle anderen wurde dieses Erlebnis zum Trauma. Das Vertrauen in Staat und Finanzsysteme ging völlig verloren. Erst mit Einführung der Rentenmark und später der Reichsmark ging die Inflation langsam zurück. Bis etwa Reallöhne wieder das Niveau von 1913 erreichten, dauerte es jedoch noch bis 1928.

Telekom-Desaster bestätigt Angst

Das Trauma wirkte aber fort – und tut das bis heute, von Generation zu Generation übertragen. Der Crash der Telekom-Aktie, die 1996 als Volksaktie an den Markt kam und als „so sicher wie eine Zusatzrente“ beworben wurde, scheint dieses Trauma nur weiter zu manifestieren. 713 Millionen Aktien wurden verkauft, umgerechnet etwa 10 Milliarden Euro verdiente die Telekom damit. 68 Prozent der Anteilshaber waren Privatanleger – höher als bei jedem anderen börsennotierten Unternehmen in Deutschland. Ihr Rekordhoch erreichte die Aktie am 6. März 2000 bei 103,50 Euro, sieben mal so viel wie beim Börsengang.

Dann kam ans Licht, dass das Unternehmen Immobilienbestände überbewertet hat. Anleger verloren das Vertrauen, trennten sich von den Aktien, sie setzte zur Talfahrt an und die war nicht mehr zu stoppen. Nur anderthalb Jahre nach dem Rekordhoch war die Aktie weniger als 10 Euro wert.

Viele Deutsche verloren hohe Geldsummen, fühlten sich durch die großen Versprechen der Telekom getäuscht. Es setzte das Gefühl ein, an der Börse könne man nur verlieren. Die Zahl der Privatanleger ging in der Folge deutlich zurück.

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Mehr Sicherheit mit ETFs

Seit 2020 steigt die Zahl der Privatanleger wieder. 2021 waren knapp 12,1 Millionen Menschen in Deutschland in Aktien, Fonds oder ETFs investiert. Die Coronakrise hatte zwar verglichen mit 2020 für einen leichten Rückgang gesorgt, doch insgesamt sei 2021 laut Christine Bortenlänger, Chefin des Aktieninstituts, ein gutes Jahr für die deutsche Aktienkultur gewesen.

Wie sich die aktuelle Situation auf diese Zahlen auswirkt, werden wir wohl erst Anfang des nächsten Jahres erfahren. Aktuell befinden sich die Börsen auf Achterbahnfahrt. Klar ist aber: Nie waren die Menschen besser zum Thema Geldanlage informiert. Vorbei die Zeiten, zu denen man sich blind auf die Aussagen einiger weniger verlassen musste.

Und deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass immer mehr Menschen in ETFs investieren. Sie bieten Sicherheit auch dann, wenn Einzelaktien im Sturzflug sind. Das gilt insbesondere für ETFs, die global und über mehrere Branchen hinweg investieren. Und wer langfristig anlegt, muss auch vor einem Börsencrash keine Angst haben. Denn auch das hat uns die Geschichte gelehrt: Nach jedem Crash ging es auch wieder bergauf.

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