24. November 2011

Die Inflation ist nicht tot

Gibt es im nächsten Jahr mehr Inflation oder weniger? Die Meinungen dazu sind derzeit geteilt, wie selten. Viele Investoren sind beunruhigt, weil die Liquidität auf den Märkten so hoch ist und die Zentralbanken immer noch mehr Geld in die Wirtschaft pumpen. Umgekehrt hat die EZB bei der letzten Zinssenkung Anfang Dezember gesagt, dass sie keine Gefahren für den Geldwert sieht. Sie rechnet damit, dass die Preissteigerung im Euroland 2012 auf unter 2 % sinkt. Wer hat Recht?

  • Auch bei schwächerer Konjunktur wird die Geldentwertung im nächsten Jahr nicht so stark abnehmen, wie vielfach gedacht.
  • Entscheidend dafür sind die Entwicklungen an den Rohstoffmärkten. Vom Wertpapieran­kaufsprogramm der EZB gehen im Augen­blick keine Gefahren für die Preise aus.
  • Die EZB wird sich von der Inflationsentwick­lung nicht abhalten lassen, die Zinsen noch einmal um einen viertel Prozentpunkt zu senken.

Das augenblickliche Bild der Geldentwertung in der Welt ist gemischt (siehe Grafik). In den USA hat die Preissteigerung zuletzt etwas nachgegeben. Sie liegt aber mit 3,5 % immer noch recht hoch. Im Euroland bewegt sich die Rate seit zwei Monaten bei 3 %. In der Schweiz und in Japan gibt es quasi keine Inflation, zum Teil auch wegen der starken Wechselkursaufwertung. In China hat sich die Geldentwertung leicht auf 5,5 % verlangsamt. In Indien ist die Situation dagegen etwas schlechter geworden. Der Preisanstieg ist mit 10,1 % zweistellig. In Brasilien und Russland erhöhten sich die Preise um etwas mehr als 7 %.

Für die weitere Entwicklung muss man verschiedene Faktoren berücksichtigen:

Konjunktur: Das Wachstum der Weltwirtschaft wird sich im nächsten Jahr abschwächen, vor allem in Europa. Damit wird es für die Unternehmen schwerer, Kostensteigerungen zu überwälzen. Die Inflation müsste zu-rückgehen. Bisher ist davon freilich noch nichts zu er-kennen. Im Euroland liegt die Kernrate (ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise), die im Wesentlichen von dieser konjunkturellen Komponente abhängt, unverändert bei 2 %.

Rohstoffpreise: Anders als bei der letzten Rezession 2008/2009, gehen die Notierungen diesmal kaum zu-rück. Ölpreise sind immer noch 30 % höher als vor einem Jahr, Nahrungsmittelpreise über 10 % (beides gemessen in Euro). Das hängt zum Teil damit zusammen, dass die Konjunktur nicht so schlecht wie damals ist. Darüber hinaus sind die Besonderheiten, vor allem des Ölmarkts, zu berücksichtigen. Libyen ist noch nicht zurück auf dem Weltmarkt. Die Kosten der Ölförderung steigen weltweit an. Es gibt zwar keine quantitative Knappheit an Öl – die neuen Reserven liegen jedoch tief unter Wasser, was die Förderung teurer macht.

Liquidität: An sich ist die hohe Liquidität in Verbindung mit den gewaltigen Staatsschulden für die Inflation ein gefährliches Gebräu. Bisher äußert sich das wegen der schwächeren Konjunktur aber nicht bei den Verbrauchsgütern (an denen die Inflation üblicherweise festgemacht wird), sondern lediglich bei Vermögensgütern wie Rohstoffen, Immobilien, Gold oder Bonds. Das wird zunächst auch noch so bleiben.

Das gilt auch für das Wertpapierankaufsprogramm der Europäischen Zentralbank (Securities Markets Program, SMP). Hier wurde als Vorsichtsmaßnahme eingebaut, dass die EZB die entstehende Liquidität durch gegenläufige Offenmarktgeschäfte unmittelbar abschöpft („sterilisiert“). Freilich sollte man sich nicht so sicher sein, dass das stabilitätspolitisch wasserdicht ist. Zum einen können sich die Banken jederzeit wieder beliebig viel Geld bei der EZB holen. Zum anderen hat das SMP negative Auswirkungen auf die Preiserwartungen. Schließlich sind die Beträge inzwischen keine „quantité negligeable“ mehr (Stand diese Woche EUR 195 Mrd.). Die niederländische Rabobank hat vor kurzem eine Studie veröffentlicht, nach der von dem SMP ab einer Größe von EUR 300 Mrd. negative Effekte ausgehen könnten. Die Studie ist zwar nicht unumstritten, sie zeigt aber die Probleme.

Haushaltskonsolidierung: Interessant ist, dass die Preissteigerung in den großen europäischen Schuldnerländern keineswegs so gering ist, wie man eigentlich erwarten könnte. In Italien liegt sie bei 3,8 %, in Portugal sogar bei 4 %, in Spanien bei 3,0 %, in Griechenland bei 2,9 %. Das hängt damit zusammen, dass im Zuge der Haushaltskonsolidierung zum Teil die Mehrwertsteuer angehoben wurde, zum Teil auch öffentliche Gebühren und andere Abgaben. Das ist zwar keine Inflation im üblichen Sinne des Wortes. Es ist jedoch eine Entwicklung, die sich über die Löhne am Ende auch auf den Geldwert auswirken kann. Irland ist hier eine Ausnahme. Im Oktober waren hier die Verbraucherpreise nur 1,5 % höher als vor einem Jahr.

Basiseffekt: Für die weitere Entwicklung der Inflation ist schließlich der Basiseffekt wichtig. Die Rate wird ja stets im Vergleich zum Vorjahr ausgewiesen. Von dieser Seite werden im Euroland im Dezember und Januar und dann noch einmal im März und April positive Effekte ausgehen. Denn vor einem Jahr erhöhten sich die Preise in dieser Zeit von Monat zu Monat mit einer Jahresrate von über 4 %, teils sogar über 5 %. Es sind diese Effekte auf die die EZB setzt, wenn sie für 2012 von Raten unter 2 % ausgeht.

Für den Anleger

Konjunktur und Basiseffekt sind positiv für die Preisentwicklung. Rohstoffmärkte, Liquidität und Haushaltskonsolidierung sind negativ. Ich gehe davon aus, dass die Geldentwertung im Euroland im kommenden Jahr zwischen 2 % und 3 % liegen wird. Das ist etwas niedriger als heute, aber nicht so wenig wie die EZB annimmt und vor allem nicht so wenig, dass man von Stabilität sprechen könnte. Die Ängste der Investoren bleiben also. Die Notenbanken werden sich davon jedoch nicht abhalten lassen, ihren Kurs weiterzufahren (Wertpapierkäufe in Europa und den USA und noch eine kleine Zinssenkung in Europa). Die Bonds-Märkte werden wegen der hohen Liquidität nicht stärker von der Inflationsentwicklung tangiert.