13. Juli 2022
Experte: Märkte preisen inzwischen eine Rezession ein

Experte: Märkte preisen inzwischen eine Rezession ein

Die wirtschaftlichen Aussichten waren schon mal besser. Michael Winkler, St. Galler Kantonalbank Deutschland, meint jedoch, die Rezession sei schon eingepreist.

Die jüngsten Kursrückschläge an den Rohstoff- und Energiemärkten, allen voran jedoch bei Öl und den Industriemetallen, sollten Anleger eine Warnung sein. Denn während die globalen Aktienmärkte angesichts hoher Inflationszahlen und einer ganzen Reihe von makroökonomischen Unsicherheiten nach wie vor von einer deutlich höher ausfallenden Volatilität geprägt sind, sind die Märkte bereits dabei Tatsachen zu schaffen und eine Rezession einzupreisen. 

Rezession und der Anleihenmarkt

Mit Blick auf die Anleihemärkte zeigt sich dies vor allem darin, dass sowohl bei 10-jährigen US-Treasuries als auch bei 10-jährigen Bundesanleihen inzwischen ein deutlicher Renditerückgang zu verzeichnen ist, obwohl die Zinserhöhungszyklen einiger Notenbanken gerade erst begonnen haben. So ist bei den 10-jährigen US-Treasuries von ihrem bisherigen Renditehoch im Jahr 2022 von 3,5 Prozent bisher ein Rückgang auf nun unter 3 Prozent zu beobachten, während gleich langlaufende Bundesanleihen von ihrem Hoch bei 1,8 Prozent auf nun unter 1,3 Prozent zurückgefallen sind.

Der Zinserhöhungszyklus der US-Notenbank Fed dürfte nach Einschätzungen noch einige Monate andauern und auch die Europäische Zentralbank (EZB) hat für Juli eine erste Zinserhöhung seit dem Jahr 2011 in Aussicht gestellt. Doch sollte diese Entwicklung nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich beide Notenbanken in schwierigen Fahrgewässern bewegen. So wird es kaum im Sinne der Fed sein, durch ihren strengen geldpolitischen Kurs eine Rezession in den USA herbeizuführen. Demgegenüber vermittelt die EZB ein eher trauriges Bild der Ratlosigkeit, wobei ihr Dilemma immer offensichtlicher wird: Eine inflationsbekämpfende Zinserhöhung wird wohl kaum durchgeführt werden können, ohne nicht hochverschuldete Länder wie Italien, Spanien oder Griechenland im Sinne einer Eurokrise 2.0 in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. 

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Mit Blick auf die Rentenmärkte müssen sich Anleger darauf einstellen, dass der Zinserhöhungszyklus der US-Notenbank Fed und der Europäischen Zentralbank EZB schneller enden könnte, als anfangs vom Markt noch erwartet. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Konjunkturdaten verschlechtern. Sollte es allerdings allem zum Trotz zu einem erneuten Anstieg der Renditen bei Staatsanleihen über das aktuelle Niveau kommen, tun Anleger gut daran, bei langlaufenden Anleihen zuzugreifen. Positiv ist zudem die Entwicklung des High Yield-Segments zu beurteilen, da Zinsanstieg und Ausweitung der Risikoaufschläge (Spreads) Hochzinsanleihen für Anleger wieder attraktiv werden lassen. 

US-Wirtschaft steht besser da als die europäische

Dass sich die US-Wirtschaft zum aktuellen Zeitpunkt in einer besseren Position befindet, als der EU-Raum, zeigt sich auch auf der Währungsseite. So ist die derzeitige Schwäche des Euro zum US-Dollar (EUR/USD) aber auch zum Schweizer Franken (EUR/CHF) maßgeblich der großen Abhängigkeit Europas von fossilen Energieträgern (Öl und Gas) und der Sorge vor einer neuen Schuldenkrise (Eurokrise 2.0) geschuldet. In diesem Kontext erweisen sich der US-Dollar und Schweizer Franken für viele Anleger als sichere Häfen, und es ist nicht auszuschließen, dass der Euro zu beiden Währungen noch weiter nachgibt. 

Wirft man nun auch einen Blick auf den Kursverlauf vieler Aktienindizes, so zeigen sich aus charttechnischer Sicht neben den intakten Abwärtstrends häufig auch immer wieder Versuche zur Bodenbildung. Doch solange es den Indizes nicht gelingt, wichtige Widerstandszonen zu überwinden und zu verteidigen, bleiben die Aktienmärkte auch weiterhin volatil, was eine Bodenbildung schwierig werden lässt. Für weiteres Kurspotenzial müsste der Dax die Widerstandszone von 13.000 bis 13.200 Zählern überwinden, während der Nasdaq100 die Widerstandszone bei 12.100 bis 12.200 Zählern zu meistern hat. Solange den Indizes dies jedoch nicht gelingt, dürften auch weiterhin substanzstarke Value-Werte gegenüber wachstumsstarken Growth-Werten von der neuen Realität profitieren.

In diesem Kontext sind die Augen der Marktteilnehmer einmal mehr auf die anstehenden Sitzungen der US-Notenbanken Fed und der Europäischen Zentralbank EZB in der kommenden und der übernächsten Woche gerichtet. Doch auch die Berichtssaison für das 2. Quartal sowie die Ausblicke für das 3. Quartal könnten neue Impulse für den weiteren Verlauf der Aktienmärkte liefern.

Über den Autor: Michael Winkler

Michael Winkler ist Leiter Anlagestrategie bei der St. Galler Kantonalbank Deutschland AG