10. Juni 2022
Europäische Zentralbank (EZB) leitet Zinswende ein - zu spät?

EZB leitet Zinswende ein – rutschen wir trotzdem in die Rezession?

Vermutet wurde ein Kurswechsel der EZB schon länger, nun wurde er bestätigt – wenn auch auf zunächst auf zögerlichem Niveau. Die Inflation in Europa war im Mai auf 8,1 Prozent gestiegen und die Forderungen nach einem Eingreifen der EZB wurden immer lauter.

Die EZB hatte sich Zeit gelassen – nach Ansicht vieler Bürger und Experten viel zu viel Zeit. Präsidentin Christine Lagarde musste sich vorwerfen lassen, untätig dabei zuzusehen, wie die Inflation von Monat zu Monat weiter stieg. Doch jetzt soll alles schnell gehen, die Zinsen werden zum ersten Mal seit elf Jahren erhöht.

Kleiner Schritt nach oben

Für ihre nächste Sitzung am 21. Juli kündigte die Europäische Zentralbank den ersten Zinsschritt an – um 0,25 Prozent soll es nach oben gehen. Der erste Zinsschritt wird wahrscheinlich aus einem Dreiklang bestehen, mit dem alle drei Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte angehoben werden. Da wäre zunächst der Hauptrefinanzierungssatz von null Prozent, der eigentliche „Leitzins“. Der zweite ist der negative Einlagensatz von minus 0,5 Prozent, der vor allem Sparer interessiert, weil er als sogenannter „Strafzins“ von den Banken zum Teil weitergegeben wird. Außerdem gibt es noch einen Spitzenrefinanzierungssatz, zu dem Banken sich bei der EZB kurzfristig Geld leihen können zu derzeit 0,25 Prozent.

Außerdem beschloss der EZB-Rat, die milliardenschwere Netto-Anleihenkäufe der Bank zum 1. Juli einzustellen. Durch diese Anleihenkäufe wurden in den letzten Jahren sowohl Ländern und Unternehmen als auch Privatleuten die Aufnahme von Krediten stark vereinfacht. Das dürfte nun vorbei sein.

EZB schuld an Rezession?

Der Druck auf die EZB wuchs in den letzten Wochen enorm. In Deutschland war die Inflation im Mai mit 7,9 Prozent auf einem neuen Höchststand seit beinahe 50 Jahren. Unter den Verbraucherpreisen leiden inzwischen nicht mehr nur jene, die ohnehin nicht über viel Geld verfügen. Entsprechend viel Kritik gab es für das Vorgehen der EZB auch von Experten wie vom Mannheimer Forschungsinstituts ZEW, für die das Ende der Wertpapierkäufe mindestens drei Monate zu spät kommt.

Es gebe die Angst vor einer neuen Euro-Schuldenkrise, erklärte ZEW-Ökonom Heinemann. Das lähme die EZB und schade ihrer Glaubwürdigkeit. Ähnlich sieht das auch  Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Es war nicht akzeptabel, dass die EZB bei einer Inflation von acht Prozent bis heute an Negativzinsen und Anleihenkäufen festgehalten hat.“ Die Geldpolitik sei zu spät dran. Er rechne mit einem Abrutschen in eine Rezession.

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Anleger brauchen Geduld

 Der Dax ist nach der Ankündigung zunächst abgerutscht und hat auch am heutigen Freitag weitere Verluste zu verkraften. Zur Handelseröffnung stand er bei 14.110 Punkten. Analysten glauben zwar durchaus, dass die Börsen kurzfristig weiter nachgeben könnten, sehen aber keine Gefahr wirklich starker Einbrüche. Was sich bereits durch das gesamte Jahr zieht, gilt also auch weiterhin: Anlegerinnen und Anleger brauchen derzeit vor allem Geduld und gute Nerven. Die kommenden drei bis sechs Monate werden zeigen, wie es langfristig weitergeht. Klar ist: Die Zinswende war unumgänglich.