11. Oktober 2017
Faktencheck: Das Märchen vom Stabilitätsrisiko durch ETFs

Faktencheck: Das Märchen vom Stabilitätsrisiko durch ETFs

Sicher, einfach, preiswert: ETFs genießen einen ausgezeichneten Ruf. Neben großen Erfolgen, welche die alternative Investmentform aktuell in einem Niedrigzinsumfeld erringt, kommen doch gerade in jüngster Zeit zunehmend kritische Stimmen auf. ETFs und andere Indexfonds würden die Stabilität des Finanzsystems bedrohen und das Risiko für eine neue Finanzkrise erhöhen, verkünden einige „Experten“. Einige Medien greifen die Warnungen bereitwillig auf. In Zusammenarbeit mit dem Robo-Advisor growney * haben wir diese Vorwürfe genauer beleuchtet und untersucht, wie hoch das Systemrisiko von ETFs tatsächlich ist.

Verbraucher entscheiden über die Kapitalverteilung

Vielen Kritikern bereitet es Sorge, dass der Marktanteil passiver Investments gewachsen ist. Sie befürchten, dass durch den Anstieg die volkswirtschaftliche Kapitalallokation der Finanzmärkte, die das Kapital per Definition in Investitionen mit der höchsten Rendite steuern und somit eine möglichst produktive Verwendung gewährleisten soll, beeinträchtigt wird. Anders ausgedrückt, sollen gute Unternehmen durch den Kauf von Aktien mit Kapital belohnt werden. Im Umkehrschluss soll schlechten Unternehmen durch den Verkauf von Aktien Kapital entzogen werden. Passive Investments investieren in einen gesamten Index und unterscheiden Unternehmen nicht nach gut oder schlecht, wodurch diese nicht an der Allokationsfunktion der Kapitalmärkte partizipieren. Da aber auch aktive Anleger und Fondsmanager keinen erheblichen Einfluss auf die Allokation von Eigen- und Fremdkapital in einer Volkswirtschaft ausüben, ist es wenig sinnvoll diesen Kritikpunkt gegenüber ETFs anzuwenden. Im Gegensatz zur Emission von Aktien oder Anleihen fließt beim klassischen Aktienkauf das Geld nicht direkt den Unternehmen zu, sondern dem Verkäufer des Wertpapiers. Die eigentliche Macht, Unternehmen mit Kapital zu belohnen oder abzustrafen, haben nach wie vor die Konsumenten. Durch den Erwerb eines Produktes oder einer Dienstleistung können sie den Umsatz eines Unternehmens ankurbeln und somit das Kapital erhöhen – oder eben nicht.

Automatische Einpreisung von Kursbewegungen

„Indexfonds verstärken Trends“ ist ein häufig vorgebrachter Vorwurf gegenüber passiven Investments. Dies folgt aus der Tatsache, dass Indexfonds Markttrends folgen und in einer Hausse (auch Bullenmarkt genannt ≙ anhaltend steigende Kurse) Aktien kaufen, wenn diese bereits einen höheren Kurs haben und in einer Baisse (auch Bärenmarkt genannt ≙ anhaltend fallende Kurse) Aktien verkaufen, deren Kurse bereits fallen. Aufgrund dieser Dynamik sollen ETFs angeblich Kursbewegungen und folglich auch Bären- sowie Bullenmärkte enorm verstärken.
Aber auch bei dieser Argumentation gehen Theorie und Realität weit auseinander, denn ein ETF muss meist keine Aktien nachkaufen, wenn der Börsenwert einer Aktie steigt. In einigen Fällen findet nämlich eine automatische Gewichtung statt: Preisveränderungen von Aktien werden bei einer Gewichtung nach Marktkapitalisierung meist vollends durch den Preis reflektiert. Somit steigt der Anteil einer Aktie im ETF automatisch, sobald eine Aktie an Wert gewinnt. Eine Aktie muss dadurch nicht nachgekauft werden. Entgegen dem unberechtigten Vorwurf funktioniert diese „automatische Anpassung“ allerdings nur in wenigen Fällen nicht: Beispielsweise, wenn alle Aktien in einem Index gleichgewichtet sind oder wenn eine Aktie einen Index wechselt.

Asset Manager sind nicht gleich Banken

Dass eine mögliche Pleite von größeren ETF-Anbietern, etwa ausgelöst durch einen Börsencrash, das Finanzsystem destabilisieren könnte, ist dabei wahrscheinlich die größte Sorge. In der Vergangenheit waren schließlich einige Banken in Finanzkrisen verwickelt, beziehungsweise deren Auslöser. Wenn große ETF-Anbieter in Schwierigkeiten gerieten, so die Überlegung, könnte das Finanzsystem ebenfalls Schaden nehmen. Dieses Argument unterliegt jedoch einem Denkfehler: ETF-Anbieter sind Asset Manager und können nicht mit Banken gleichgesetzt werden. Ein Börsencrash würde die ETF-Anbieter nicht zwangsläufig funktionsunfähig machen. Bis auf eventuelle Einbußen bei den Kundengeldern, die ETF-Anbieter verwahren, würde der Anbieter selbst lediglich Einnahmen aus der Verwaltungsgebühr verlieren, was nicht automatisch zum Bankrott führt. Zudem vergeben Asset Manager keine Kredite. Sie stehen hier im Gegensatz zu Banken, die aus dem Pool an Kundeneinlagen Kredite vergeben, welche in Krisen ausfallen können. Ein Absturz oder eine mögliche Aufspaltung eines ETF-Anbieters hätte auf die gesamtwirtschaftliche Kreditvergabe jedoch relativ wenig Einfluss, was im Übrigen auch für die Anbieter von aktiv gemanagten Fonds gilt.

Existenzberechtigung für aktiv und passiv

Das einseitige Schlechtreden von ETFs ist eine Übertreibung, die zumeist von den konkurrierenden aktiven Investmenthäusern verbreitet wird. In unseren Augen haben beide Investmentformen ihre Daseins-Berechtigung.

Während ETFs sich immer parallel zum zugehörigen Markt entwickeln können und kostengünstig sind, punkten aktive Investmentfonds auf informationsineffizienten Märkten. Im Allgemeinen gilt: Je spezieller ein Thema und je weniger zur Verfügung stehende Informationen in den Börsenkursen eingepreist sind, desto sinnvoller ist eine aktive Strategie. Dies begründet sich in der Tatsache, dass aktive Investmentmanager mittels tiefgehender Forschung auch in stagnierenden Märkten einzelne Unternehmen mit Potenzial identifizieren und in diese investieren können. Ein ETF, der in vielen Fällen in einen ganzen Markt investiert, kann das hingegen nicht. Auch speziell bei Investoren, die eine spezielle ethische oder ökologische Richtung verfolgen wollen, ist ein aktiver Ansatz sinnvoll, bei dem auf Individualbedürfnisse dieser Art eingegangen werden kann. Doch trotz der Möglichkeit, mit Hilfe von Research besonders attraktive Unternehmen herauszupicken, schlagen nur 2,2 Prozent der aktiv gemanagten Investmentfonds ihren Vergleichsindex.

Wir haben growney getestet