7. November 2022
Keine Erholung in Sicht? So geht es weiter für die globale Wirtschaft

Keine Erholung in Sicht? So geht es weiter für die globale Wirtschaft

Die Nachrichtenlage ist beunruhigend. Die Inflation ist so hoch wie seit den frühen 80er Jahren nicht mehr und bedroht den globalen Wohlstand. In Europa herrschen Krieg und eine Energiekrise. Die Stimmung in der Wirtschaft ist so pessimistisch wie zuletzt während der großen Finanzmarktkrise 2008/2009. 

Zudem korrigieren die Wertpapierkurse in Reaktion auf dieses Umfeld seit Beginn des Jahres massiv. In Zeiten wie diesen ist es besonders wichtig sich nicht von Emotionen leiten zu lassen, sondern die Lage fundamental und mit Blick auf die langfristigen Entwicklungen zu analysieren. Lars Murek, CIO bei der Portfolio Concept Vermögensmanagement GmbH in Köln, wirft in seinem Marktkommentar zum vierten Quartal 2022. einen Blick auf die nahe Zukunft der Wirtschaft.

Assetpreis-Deflation setzt sich fort

Die nackten Zahlen an den Finanzmärkten sprechen zunächst eine deutliche Sprache. Das abgelaufene Quartal markierte das Dritte in Folge mit simultan fallenden Aktien- und Anleihenotierungen. Die Assetpreis-Deflation setzte sich somit unvermindert fort. Die drei kursbewegenden Faktoren bleiben unverändert: Inflationsentwicklung und Auswirkungen auf die Zentralbankpolitik, die Entwicklung der Realwirtschaft mit steigender Rezessionsgefahr sowie die Geopolitik. Diese Faktoren sind interdependent. Sie bedingen, beeinflussen und verstärken sich gegenseitig. Die großen Anlageregionen sind von diesen Herausforderungen unterschiedlich stark betroffen.

USA: Silberstreif am Horizont? Inflationszahlen nahe der Höchstraten

In den Vereinigten Staaten sind die Inflationszahlen auch im dritten Quartal angestiegen. Im September lag der Verbraucherpreisindex (CPI) um 8,2 Prozent höher als im Vorjahr. Wir haben die Erwartung, dass wir uns mittlerweile nahe der Höchstraten bewegen und in den kommenden Monaten schwächere Steigerungsraten sehen werden. Rückläufige Rohstoff- und insbesondere Gaspreise sowie ein sich spürbar verlangsamender Immobilienmarkt senden positive Signale hinsichtlich der künftigen Inflationsentwicklung. Die Konsensschätzung der Volkswirte hält sogar einen Rückgang der Inflation in das Zielband der amerikanischen Notenbank (FED) bei zwei Prozent für möglich.

Diesen Optimismus teilen wir nicht. Mit Sorge betrachten wir insbesondere Zweitrundeneffekte. Der Arbeitsmarkt in den USA ist sehr stark und folglich sind erhöhte Lohnabschlüsse wahrscheinlich. Zudem droht mit dem Abkühlen des Immobilienmarktes ein Anstieg der Nachfrage nach Mietobjekten und in der Folge ein Anstieg der Mieten. Der Rückgang der Inflation dürfte derweil der FED die Möglichkeit einer Verschnaufpause im Zinserhöhungszyklus geben.

Europa: Keine guten Lösungsoptionen

Für Europa sind wir weitaus pessimistischer, was die mittelfristigen Konjunkturaussichten betrifft. Die Eurozone verbuchte im September mit einer Verbraucherpreisinflation von zehn Prozent die erste zweistellige Inflationsrate in ihrer Geschichte. In Europa herrscht Krieg und der wirtschaftliche Preis ist durch hohe Energiekosten direkt für private Haushalte und Unternehmen spürbar. Die Inflationsentwicklung wird wahrscheinlich in den kommenden Monaten noch einmal an Fahrt gewinnen, daher erwarten wir neue Rekordwerte. Zweitrundeneffekte wie in den USA wird es auch in der Eurozone geben.

Die europäische Zentralbank (EZB) ist in ihrem Zinserhöhungszyklus den USA weit hinterher und wird in diesem Jahr kaum zu einer Reduktion der Inflation beitragen können. Des Weiteren ist die Wirtschaftskraft der Eurozone nicht zuletzt durch den Krieg äußerst schwach zu einem Zeitpunkt, in dem die EZB anfängt, ihre Geldpolitik restriktiver zu gestalten. Für das kommende Jahr rechnen die Wirtschaftsforschungsinstitute mit einer Rezession für Deutschland und auch die Eurozone dürfte eine Rezession nur schwer abwenden können. Die Marktteilnehmer rechnen bis zum Ende des Jahres mit weiteren Leitzinserhöhungen um 1,25 Prozent auf dann 2,5 Prozent.

China: Wild Card mit politischen Risiken

China könnte unseres Erachtens im kommenden Jahr für eine Überraschung gut sein. Eine wirtschaftsfeindliche Politik (Zero Covid-Maßnahmen, Regulierung diverser Branchen, Common Prosperity), große Probleme im Immobiliensektor sowie ein offen ausgetragener Wirtschaftskrieg mit den Vereinigten Staaten sorgten für zwei wirtschaftlich sehr schlechte Jahre.

Beim diesjährigen Volkskongress wird Xi Jinping für fünf weitere Jahre gewählt und mit der Besetzung wichtiger Positionen im Politbüro wird die Politik der Planwirtschaft strategisch neu ausgerichtet. Hier warten Investoren auf einen überzeugenden wirtschaftlichen Wachstumsplan und eine Abkehr von der Zero Covid-Politik.

Wirtschaft und Geopolitik

Der Krieg in der Ukraine bleibt ein nicht kalkulierbares Risiko. Eine erfolgreiche Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte mit deutlichen Geländegewinnen lassen in Kiew die Bereitschaft zu neuerlichen Verhandlungen mit Russland gegen Null tendieren. Derweil rief Russland eine Teilmobilmachung von 300.000 Reservisten aus, führte über Scheinreferenden eine Annexion ukrainischer Regionen durch und droht unverhohlen mit einem Einsatz von Nuklearwaffen im weiteren Kriegsverlauf. Auch Entwicklungen im Iran, in Nordkorea und dem weiter offen ausgetragenen Wirtschaftskonflikt zwischen den USA und China beobachten wir sehr genau.

Tipp: Asset Allocation – hier erfährst du, wie du Risiko und Ertrag miteinander in Einklang bringst.

Ableitungen für die Anlagestrategie

Das skizzierte makroökonomische Umfeld bleibt herausfordernd und lässt die Kapitalmärkte mittelfristig volatil bleiben. Die massive Liquiditätsreduktion ist nicht risikolos und kann ungewollte Probleme in der Realwirtschaft auslösen. Aktuell haben wir unsere Portfolien defensiv ausgerichtet und legen den Fokus eindeutig auf Risikomanagement und Werterhalt. Der Grundsatz lautet „Hope for the best, prepare for the worst“.

Wir sehen aber auch Opportunitäten am Markt. Sollte sich die Inflationsentwicklung in den kommenden Monaten stabilisieren und die Teuerungsraten rückläufig sein, besteht die Möglichkeit, dass die Zinsen ihren vorläufigen Höhepunkt sehen. Dies würde den Rentenmarkt stabilisieren und in der Folge auch die Kredit- und Aktienmärkte begünstigen. Im Detail sehen wir die einzelnen Anlageklassen wie folgt:

Anleihen

Anleihen sind seit langer Zeit wieder interessant. Die Zinsen geben ihr Comeback und durch die zwischenzeitlich höchsten Kursverluste seit über 40 Jahren gibt es nun wieder attraktive Einstandsrenditen. Betrachtet man europäische Unternehmensanleihen mit bester Bonität, sieht man eine bemerkenswerte Renditeentwicklung. Vor etwas mehr als einem Jahr, am 31.Juli 2021, notierten diese Anleihen bei mageren 0,2 Prozent jährlich, während aktuell eine Einstandsrendite in der Größenordnung von 4,25 Prozent erworben werden kann. Die Rendite hat sich also mehr als verzwanzigfacht. Die Einstandsrendite ist die Rendite, welche man jährlich vereinnahmt, wenn in dem breit diversifizierten Korb an Anleihen bester Bonität keine Kreditausfälle auftreten.

Da wir von einer Rezession in der Eurozone ausgehen, müssen wir allerdings auch Kreditausfälle ins Kalkül ziehen. Diese lagen in der Vergangenheit im Investment Grade-Bereich in Europa aber im Schnitt unter ein Prozent der Anleihen. Wir würden sogar mit noch geringeren Ausfällen rechnen, da viele Unternehmen insbesondere nach der Corona-Pandemie über sehr gesunde Bilanzen verfügen. Auch im Vergleich zur Aktienanlage ist die Rendite mittlerweile attraktiv. Für den Eurostoxx 50 beläuft sich die Dividendenrendite auf etwa 3,5 Prozent. Staatsanleihen finden wir nach wie vor lediglich taktisch als Rezessionsabsicherung interessant. Die attraktive Einstandsrendite bei Hochzinsanleihen erkauft man sich mit einem erhöhten Ausfallrisiko.

Aktien

Die Aktienwerte werden auch mittelfristig weiterhin sehr volatil bleiben. Für eine Jahresendrallye spricht das äußerst pessimistische Sentiment der Investoren. Die letzte Bärenmarktrallye im Juni führte zu Kursgewinnen gemessen am MSCI World von in der Spitze 18 Prozent. Eine solide Berichtssaison oder fallende Inflationsraten könnten der Auslöser einer solchen Gegenbewegung sein. Mittelfristig erwarten wir allerdings, dass die aufziehende Rezession ein fundamental herausforderndes Umfeld für Aktienanlagen darstellen wird. Dieses sehen wir noch nicht ausreichend in den Kursen reflektiert. Wir denken daher, dass die Analysten ihre Gewinnschätzungen für 2023 in der anstehenden Berichtssaison nach unten anpassen werden.

Regional sehen wir die größten Chancen in den USA. Bei Investments in Europa und Asien halten wir uns aktuell noch zurück. Langfristig orientierte Investoren können die starken Kursverluste der letzten Monate nutzen, um tranchiert in den Markt einzusteigen. Faire bis günstige Bewertungsniveaus versprechen Anlegern mit einem längeren Investmenthorizont attraktive Erwartungsrenditen, deutlich attraktiver als noch vor einem Jahr.

Gold und alternative Investments

Gold hat sich im vergangenen Quartal wie von uns erwartet negativ entwickelt. Für einen Euro-Investor fiel der Verlust wegen des starken US-Dollars vergleichsweise moderat aus. Rechnet man den Währungseffekt hinaus, verlor Gold allerdings fast acht Prozent an Wert. Wir bleiben bei unserer Einschätzung, dass Gold mit steigenden Zinsen, einem starken US-Dollar und der Aussicht auf mittelfristig rückläufige Inflationsdaten als Portfoliopositionierung fundamental nur bedingt attraktiv ist. Alternative Investments nutzen wir weiterhin zur breiten Diversifikation und sehen darin in volatilen Zeiten einen wertvollen unkorrelierten Portfoliobestandteil.

Tipp: Hier erfährst du alles über das Investieren in Themen-ETFs – inklusive wichtiger Brancheninfos und geeigneter ETFs.

Über den Autor: Lars Murek

Lars Murek ist Chief Investment Officer bei der Portfolio Concept Vermögensmanagement GmbH in Köln