27. Juli 2011

Nichts geht ohne Index

Indizes sind die Messlatte für ETFs. Sie bilden den Markt und seine Entwicklung ab. Doch nicht immer entsprechen sie in der Zusammensetzung der Erwartung des Anlegers. Der Grund liegt in deren Konstruktionsform und Gesetzmäßigkeiten bei der Berechnung. Ein Blick hinter die Kulissen der Indizes lohnt sich auf alle Fälle.

Mit ETFs kann jeder in die verschiedensten Anlageklassen investieren, gleich ob Aktien, Renten oder Rohstoffe. Dabei wird stets die Wertentwicklung der jeweiligen Indizes passiv nachvollzogen, die dem ETF zugrunde liegen und damit die Stimmung an den Märkten, die in Börsenbarometern wie DAX, Stoxx oder MSCI ihren Ausdruck findet. Ein ETF bildet also einen Index ab. Doch so einfach dieses Grundprinzip auch ist – manch weniger erfahrene Anleger ist mitunter verwundert, wenn sich beim genaueren Blick auf sein Investment ein Bild ergibt, das ganz und gar nicht seinen Vorstellungen entspricht.

So kann es zum einen passieren, dass er im ETF selbst völlig andere Papiere findet als im Index. Der Grund hierfür liegt in den komplexen Gesetzmäßigkeiten der verschiedenen Methoden, einen Index abzubilden, sprich repräsentativ, vollreplizierend oder synthetisch. Dabei kommen verschiedene Auswahlverfahren zum Tragen, wenn es etwa bei einem umfangreichen Index nicht sinnvoll, zu teuer oder unmöglich ist, alle Papiere zu kaufen. Und der Einsatz von Derivaten bzw. Swaps als Tauschgeschäft bei der synthetischen Replikation kann schon mal dazu führen, dass ein DAX-ETF aus lauter europäischen Aktien besteht. Auch wenn sich diese Vorgänge im Detail nicht jedem auf Anhieb erschließen – sie sind die Voraussetzung dafür, dass ETFs möglichst einfach und effizient funktionieren. Sie müssen zumindest bekannt sein.

Index mit Überraschungseffekt

Fast noch wichtiger aber ist es, den zugrundeliegenden Index mit seinen Eigenheiten und Marktbesonderheiten zu kennen. Denn auch hier ergeben sich Irritationen: Wieso besteht der MSCI World denn zur Hälfte aus US-Aktien? Weshalb finde ich im Staatsanleihen-Index so viele Wackelkandidaten wie Griechenland oder Portugal? Warum besteht der Automobilbranchen- Index vorwiegend aus Daimler- Papieren? Die naheliegende Frage, ob die Indexbezeichnungen falsche Erwartungen wecken, beantwortet sich erst beim näheren Blick hinter die Kulissen.

Von den zahllosen Indizes weltweit, mit verschiedenen Ausrichtungen, Schwerpunkten und Konstruktionsformen, eignen sich nicht alle für ETFs. Für die kommt es auf eine möglichst einfache Handelbarkeit und hohe Liquidität der darin enthaltenen Titel an. ETF-taugliche Indizes gibt es als marktbreiten Benchmark-Index, als Blue- Chip-Index, als Leit- oder als Subindex sowie für Branchen, Themen, Regionen oder Strategien. Da nun der Zweck eines Index darin besteht, einen Markt repräsentativ abzubilden, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien einzelne Titel aus einem Gesamtuniversum ausgewählt und wie sie im Index gewichtet werden.

Marktkapitalisierung

Die meisten Indizes richten sich traditionell nach der Marktkapitalisierung. Beispiele sind der DAX, der S&P 500 oder der MSCI-World. Entsprechend der gängigen Effizienzmarkthypothese wird davon ausgegangen, dass in einem Kurs, dem Marktpreis, bereits alle marktrelevanten Informationen enthalten sind. In diese Indizes werden Aktien aufgenommen, die sich aufgrund ihrer Größe und Liquidität eignen. Der Vorteil dieses Ansatzes nach Marktkapitalisierung liegt für ETFs darin, dass sich der Index relativ einfach nachbauen lässt, da es günstiger ist, die liquiden Anteile von großen Unternehmen zu handeln, die einen größeren Anteil im Index ausmachen. Darin aber liegt zugleich sozusagen der Hund begraben. Denn die Gewichtung nach Marktkapitalisierung führt dazu, dass Titel, die gut gelaufen sind und einen hohen Börsenwert haben, tendenziell übergewichtet werden und somit dominieren. Damit ist auch eine Anfälligkeit für Blasen bei Marktübertreibungen gegeben. Mit diesen Übergewichtungen erklärt sich etwa, warum der MSCI World, der ohnehin Aktien aus nur 24 Ländern enthält, zu 50 Prozent aus USAktien besteht. Diese Verzerrungen kapitalisierungsgewichteter Indizes wirken sich auch bei Rentenindizes aus. So führt eine Übergewichtung hochverschuldeter Länder dazu, dass ein Anleger etwa beim Index Euro-MTS 10-15Y hauptsächlich in Staatsanleihen von Problemstaaten investiert. Bei vielen Rentenindizes orientiert sich die Gewichtung an der Summe der Schulden.

Gleichgewichtet

Diesem Übergewichtungsproblem versuchen gleichgewichtete Indizes zu begegnen, die jedoch seltener sind. Beispiele sind der US-Index Value Line Composite oder der EOE Dutch Stock Index. Jede Aktie wird hier mit dem gleichen Gewicht berücksichtigt. Der Kursverlauf jedes Papiers fließt in gleichem Maße in die Berechnung ein. Durch regelmäßiges Rebalancieren wird jedes Mal die ursprüngliche Zusammensetzung wiederhergestellt. Unterbewertete Titel werden höher gewichtet, überbewertete werden niedriger gewichtet. Damit ergibt sich ein ausgeglicheneres Bild, was zudem ein „Blasenrisiko“ vermeiden soll. Jedoch: Werden große und kleine Titel in einem Portfolio gleich gewichtet, erhöht sich das Risiko, da kleinere Werte tendenziell volatiler sind. Außerdem werden liquide und weniger liquide Werte gleich behandelt. Nicht zuletzt verursacht diese Indexpflege mehr Aufwand und Kosten. Gleiches gilt für einen ETF, da er hier die zugrundeliegenden Papiere proportional oft kaufen und verkaufen muss.

Alternativen

Einen anderen Ansatz verfolgen Indizes, die sich nach Fundamentaldaten richten. Nicht der Börsenwert entscheidet, sondern fundamentale Unternehmenswerte: Umsatz, Cashflow, Dividendenrendite sowie das Kurs-Buchwert-Verhältnis. Diese Kennzahlen werden jährlich den Firmenbilanzen entnommen und gleichgewichtet in die Indexanalyse einbezogen. Damit werden Trendeffekte vermieden, bei denen etwa hoch bewertete Aktien immer attraktiver werden und letztlich in der Relation ein viel zu hohes Gewicht bekommen, während kleinere, aber fundamental aussichtsreiche Unternehmen mit Kurspotenzial unterbewertet bleiben. Beispiele sind der FTSERAFI US 100 oder der FTSE-RAFI Europe.

Blue Chips

Das Ziel, einen Index so zu konstruieren, dass er in seiner Gewichtung den Vorstellungen eines Investors entspricht, wird aber auch auf Basis der traditionellen Marktkapitalisierung verfolgt. Etwa mit den Blue-Chip- Indizes, die jüngst vom weltweiten Anbieter Stoxx aufgelegt wurden. Hier werden – je nach Schwerpunkt der Indizes – die jeweils größten, umsatzstärksten und liquidesten Unternehmen ausgewählt. Nach Ansicht von Konrad Sippel, der bei Stoxx die Produktentwicklung verantwortet, zeichnen sie sich durch eine „hohe Liquidität und Konsistenz im Regelwerk“ aus. Zudem bremst eine zehnprozentige Kappungsgrenze bei der Kursentwicklung die Gefahr einer schleichenden Übergewichtung. Übrigens: Zur besseren Übersicht wurde bei Stoxx jetzt rundum aufgeräumt. Die neuen Blue- Chip-Indizes sind in eine neu strukturierte Stoxx-Indexfamilie eingebunden. Bekanntester Blue-Chip-Index des Anbieters ist der Euro Stoxx 50. Ein weiterer strategischer Ansatz bei Stoxx sind die Optimised Indizes. Auch sie setzen auf kapitalmarktbasierten Ansätzen auf. Zudem werden die Indizes nach der Liquidität der zugrundeliegenden Aktien optimiert.

Fazit

Der Tatsache, dass marktkapitalisierte Indizes unter Umständen zu Verzerrungen bzw. einseitigen Konzentrationen in der Gewichtung führen, kann mit verschiedenen Konstruktionsmöglichkeiten begegnet werden. Für ein konstantes Bild in der Zusammensetzung gibt es zudem genug Alternativen – auch wenn es längst noch nicht für alle geeignete ETFs gibt. Der kritische Einwand, dass bei optimierten Indizes durch die Titelauswahl die repräsentative Marktabbildung leidet, erübrigt sich mit Blick auf den wachsenden ETF-Markt und die steigende Nachfrage nach neuen und innovativen Indizes.

Hintergrund

STOXX Limited hat Anfang des Jahres die Indexfamilie STOXX Global eingeführt und berechnet nun mehr als 1.200 neue Indizes. Zudem wurde das Indexangebot neu gegliedert, um die verschiedenen Indexangebote von STOXX klarer herauszustellen. Die STOXX Global Indexfamilie setzt sich aus Indizes für den Gesamtmarkt, marktbreiten Benchmarks und Blue- Chips zusammen und bildet neben den Regionen Nord- und Südamerika, Europa, Asien und Pazifik sowie den Subregionen Lateinamerika und BRICStaaten (Brasilien, Russland, Indien und China) auch den weltweiten Markt ab. Alle regionalen Indizes lassen sich zudem auf die einzelnen Supersektoren herunterbrechen. Zudem wurden eine Reihe innovativer Strategieindizes sowie Short- und Leverage-Indizes eingeführt.