20. März 2021
Physisch vs. synthetisch

Sind physisch replizierende ETFs tatsächlich die bessere Wahl?

Noch vor wenigen Jahren war das Thema „physisch vs. synthetisch“ in der ETF-Community ein echter Glaubenskrieg. Dieser scheint überwunden. Trotzdem taucht immer wieder die Frage auf: Sind physisch replizierende ETFs wirklich besser? 

Ein genaues Startdatum zu benennen ist schwer. Doch es dürfte sich im Jahr 2011 zugetragen haben. Damals brach einer der unerbittlichsten Glaubenskriege in der ETF Community los. Einige namhafte Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF), die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) und der Finanzstabilitätsrat (FSB) versuchten, am guten Ruf von ETFs zu rütteln.

ETFs könnten die Stabilität des internationalen Finanzsystems gefährden, hieß es damals. Auch sei so mancher ETF zu kompliziert, um von Privatanlegern gehandelt zu werden. Schließlich würden viele ETFs nicht einmal die Wertpapiere besitzen, deren Rendite sie nachbilden. Die Kritik bezog sich eindeutig auf Swap-ETFs, auch synthetische ETFs genannt. Obwohl diese ETF-Gattung auch schon sehr früh viele Anleger von ihren Vorzügen überzeugte, so bekam sie dadurch erst einmal einiges an Gegenwind.

ETF-Experten mit guten Argumenten

Mittlerweile wissen wir: Die Kritik der Institutionen bezüglich des Gefährdungspotenzials von ETFs für das Finanzsystem ist Humbug. Auch wenn das Argument immer wieder im Lager der aktiv gemanagten Investmentfonds aufkeimt, so nimmt dies niemand mehr für bare Münze. Das negative Image der synthetischen ETFs hingegen hat sich noch nicht gänzlich verflüchtigt. Wer in ETF-Foren in den sozialen Netzwerken unterwegs ist, stellt immer wieder fest, dass dort oftmals immer noch eine erbitterte Diskussion zwischen beiden Lagern geführt wird: physisch vs. synthetisch!

Ist das angemessen? Höchstwahrscheinlich nicht. ETF-Experte Gerd Kommer spricht in seinem Beitrag gar von einer „friedlichen Koexistenz“ der beiden Replikationsmethoden. Dennoch räumt Kommer, der mit seinem Buch „Souverän investieren mit Indexfonds und ETFs“ das Standardwerk schlechthin für ETF-Anleger geschrieben hat, ein, dass er privat als auch mit seiner Firma rein auf physisch replizierende ETFs setzt. Die Gründe dafür erläutert er sachlich und wie immer äußerst nachvollziehbar.

Genauso sachlich und nachvollziehbar schildert Gary Buxton, Leiter EMEA ETFs & Indexed Strategies bei Invesco, die Vorzüge, die synthetische ETFs gegenüber physischen ETFs aus seiner Sicht aufweisen. Er verweist auf die Möglichkeit, Indizes über Swaps punktgenauer abzubilden. Zudem stellt er einen Bewusstseinswandel in der Branche fest.Swap-ETFs seien immer mehr im Kommen, argumentiert Buxton.

Tipp: Hier erfahren Sie alles Wichtige rund um Swap-ETFs .

Gerd Kommer: Swap-ETFs ohne Kostenvorteil

Für Gerd Kommer ist die Sache eindeutig: Synthetische ETFs haben für den Börsenexperten definitiv ihre Daseinsberechtigung. Dennoch setzt er selbst weiter auf physische ETFs. Hier erläutert er die Gründe.

Bei meinen privaten Geldanlagen und bei meinen Unternehmen Gerd Kommer Invest und Gerd Kommer Capital * vermeide ich Swap-ETFs. Dennoch ist die vielfach mit heftiger Schnappatmung vorgetragene Kritik an Swap-ETFs oft überzogen. Werfen wir einen Blick auf die Fakten. In globaler Betrachtung repräsentieren Swap-ETFs ein eher unbedeutendes Nischenphänomen, ihr weltweiter Marktanteil liegt vermutlich unter zwei Prozent mit Tendenz nach unten. In den USA, dem regional mit Abstand größten ETF-Markt der Welt, sind Swap-ETFs zum Vertrieb an Privatanleger, mit Ausnahme einiger weniger Swap-

ETFs, die vor 2010 aufgelegt wurden, zu Recht oder zu Unrecht nicht zugelassen. Swap-ETFs wurden vor etwa 20 Jahren eingeführt. Seitdem hat meines Wissens weltweit kein einziger Privatanleger einen Schaden aus der Swap-Struktur erlitten, obwohl wir in diesen 20 Jahren drei schwere „Stress-Tests“ hatten: Der Dot.com-Crash, die große Finanzkrise und den Corona-Crash.

Lücke geschlossen

Ja, bei Swap-ETFs existiert aus der Swap-Struktur heraus ein Ausfall- oder Kontrahentenrisiko, das bei äquivalenten physischen ETF nicht besteht. Dieses Risiko ist jedoch gut abgesichert – in erster Linie durch eine Besicherung mit liquiden Wertpapieren. Diese Besicherung (eigentlich Übersicherung) wird täglich überprüft und, sofern nötig, täglich angepasst. Swap-ETFs wurden erfunden, weil damals die Abbildung bestimmter Assetklassen auf rein physischer Basis deutlich teurer gewesen wäre. Für manche illiquiden oder exotischen Assetklassen waren deshalb im Privatanlegermarkt über Jahre hinweg nur Swap-ETFs verfügbar.

Dieses Kosten- und Lückenproblem ist inzwischen weitgehend verschwunden. Es gibt kaum noch Assetklassen, in denen physisch replizierende ETFs fehlen, und da, wo physische ETFs und Swap-ETFs friedlich koexistieren, sind Swap-ETFs selten in relevantem Umfang billiger. Genau das müssten sie jedoch sein, um ihr kleines Zusatzrisiko, das Kontrahentenrisiko, zu kompensieren.

Swap-ETFs selten günstiger als physisch replizierende ETFs

Das bringt uns zum Schlüsselargument. Swap-ETFs sind für Buy-and-Hold-Anleger wie mich letztlich nur dann attraktiv, wenn sie einen nennenswerten Kostenvorteil haben. Dieser Kostenvorteil muss klar und nachhaltig in der Rendite erkennbar sein und mindestens 0,10 oder 0,15 Prozentpunkte betragen. Das scheint aber selten der Fall zu sein. Um das zu prüfen, habe ich Anfang Dezember auf die Schnelle diejenigen ETFs auf extraETF.com herausgesucht, die den bekannten MSCI World Standard Index abbilden. Die 14 ETFs teilten sich in neun physische und fünf Swap-ETFs auf. Über die direkt vorhergehenden zwölf Monate lieferten physisch replizierende ETFs im Schnitt eine um 0,16 Prozentpunkte höhere Rendite als die Swap-ETFs, die Total Expense Ratio (die „laufenden Kosten“) der physischen ETFs war um 0,07 Prozentpunkte günstiger. Es gab in dieser kleinen Stichprobe keine einzige Ausnahme von der Grundaussage.

Dieses kontraintuitive und für Swap- ETFs enttäuschende Ergebnis dürfte darauf zurückgehen, dass die Kosten- und Quellensteuervorteile der Swap-Struktur überwiegend nicht an die Anleger weitergegeben werden. Alles in allem werde ich daher, wie schon in der Vergangenheit, keine Swap-ETFs nutzen.

Tipp: Hier erfahren Sie alles zu den Weltportfolios von Gerd Kommer und wie Sie diese nachbauen können.

Gary Buxton: Physisch replizierende ETFs sind ungenauer

Die US-Investmentgesellschaft Invesco ist einer der Pioniere der synthetischen Replikation. Warum sich für den ET-Anbieter diese Methode oftmals als die sinnvollste Variante bewährt hat, erläutert ETF-Experte Gary Buxton.

Keine Replikationsmethode ist in jeder Situation und für jeden Anleger die beste Lösung. Deshalb haben wir sowohl synthetische als auch physisch replizierende ETFs im Angebot. Wie repliziert wird, entscheiden wir anhand der spezifischen Merkmale des abzubildenden Index und, bei Bedarf, der Anlegerpräferenzen. Dabei ist die synthetische Replikation häufig der sinnvollste Ansatz.

Nehmen wir einen US-Aktien-ETF. Gemäß dem US HIRE Act dürfen ETFs, die Swaps auf bestimmte große US-Aktienindizes wie den S&P 500 oder den MSCI USA nutzen, die Bruttodividenden zu 100 Prozent vereinnahmen. Das ist ein klarer Vorteil gegenüber einem physisch replizierenden ETF, der seine Dividendeneinnahmen versteuern muss. Ein in Europa aufgelegter physischer ETF kann den Steuersatz über bilaterale Steuerabkommen zwar auf 15 Prozent reduzieren – bei einem Index mit einer Dividendenrendite von zwei Prozent ergibt sich dadurch aber trotzdem eine Renditedifferenz von rund 30 Basispunkten pro Jahr. Selbst unter Berücksichtigung der Erträge aus Wertpapierleihgeschäften ist diese Lücke für physische ETFs schwer zu schließen.

Genauere Abbildung

Bei europäischen Aktienindizes gibt es ähnliche Vorteile. Anders als ein physisch replizierender ETF kauft ein synthetischer ETF die Indexkomponenten nicht und zahlt daher auch keine Stempel- oder Finanztransaktionssteuer. Bei einem globalen Aktienindex wie dem MSCI World profitieren wir von beiden Effekten: Der US-Anteil ist von der Quellensteuer auf US-Dividenden befreit und in Europa müssen keine Stempel- oder Finanztransaktionssteuern bezahlt werden. Für synthetische ETFs spricht zudem, dass ihre Wertentwicklung weniger stark von der des abgebildeten Index abweicht, weil der Swap-Partner die genaue Performance des ETF-Referenzindex zusichert. Bei der physischen Replikation gibt es naturgemäß kleinere Abweichungen.

Bewusstsein für Vorteile nimmt zu

Als wir vor mehr als zehn Jahren unseren ersten synthetischen ETF auflegten, nutzten wir als erster Emittent in Europa mehrere Swap-Partner. Das hat zwei wichtige Vorteile: geringere Auswirkungen im unwahrscheinlichen Fall des Zahlungsausfalls eines Kontrahenten und einen größeren Wettbewerb zwischen Banken und damit häufig bessere Swap-Konditionen. Wir nutzen auch ungedeckte Swaps, halten also selbst einen Wertpapierkorb, der in der Regel der Haupttreiber der ETF-Rendite ist. Die Swaps gleichen die Differenz zwischen der Rendite des Wertpapierkorbs und der des Index aus. Das ist insbesondere in volatilen Märkten und bei hohen Zu- oder Abflüssen effizienter. Das Bewusstsein für die Vorteile gut konstruierter synthetischer ETFs scheint zuzunehmen.

2019 entfielen auf sie 90 Prozent der gesamten Zuflüsse in S&P 500 ETFs. 2020 haben sich die Anleger selektiver gezeigt. So hat unser synthetischer S&P 500 ETF bis Oktober 2020 weitere Nettozuflüsse in Höhe von einer Milliarde Dollar verzeichnet, während aus dem Rest des Marktes Gelder abgezogen wurden. Beim MSCI World Index entfielen 2020 zwei Drittel der Zuflüsse auf synthetische ETFs. Immer mehr Anleger scheinen zunehmend gut einschätzen zu können, wo ein synthetisches Modell bessere Ergebnisse verspricht als ein physisches.

Tipp: Schließen Sie sich über 30.000 Anlegern an und informieren Sie sich mit der extraETF App jederzeit mobil über ETFs, Aktien und Fonds. Erhältlich für Android und iOS!