2. Mai 2019
Privatanleger können in viele Sprachfallen tappen.

Achtung Sprach-Falle

In der Politik wird die Framing-Diskussion längst geführt. An den Finanzmärkten findet diese Diskussion aber noch nicht statt, obwohl Anleger in der täglichen Berichterstattung über das Börsengeschehen konfrontiert werden.

Wenn eine Ratingagentur eine Anleihe aus dem „Investment Grade Rating“ in den „Non Investment Grade“-Bereich abstuft, dann wird aus einer investierbaren Anleihe plötzlich eine Ramschanleihe oder ein Schrottpapier. Diese Begriffe finden sich in der täglichen Börsenberichterstattung unwidersprochen wieder. Ebenso wie das englische Pendant eines Junk-Bonds.

Das Urteil, das Anleger automatisch mit einer solchen Einordnung verbinden, ist vernichtend. Es kostet regelrecht Überwindung, sich gegen diesen Frame zu stellen, um sich mit den Hintergründen der Herabstufung zu beschäftigen. Das aber kann sich lohnen. Oftmals bieten gerade Anleihen, die sich in dem Grenzbereich zwischen Investment Grade- und Non-Investment-Grade-Bereich aufhalten, attraktive Renditechancen.

Der „Anlagenotstand“, das Börsenunwort des Jahres 2016, ist auch heute noch regelmäßig in Börsenberichten präsent. Ein Notstand ist jedoch, was etwa der verheerende Wirbelsturm Idai in Mosambik mit Toten, zerstörten Gebäuden und vernichteter Infrastruktur hinterlassen hat. Der Anlagenotstand suggeriert vielmehr eine Krise, die es in diesem Ausmaß an den Finanzmärkten nie geben kann. Allerdings denken Anleger, sie müssten nun etwas Besonderes tun, um sich vor einer Krise zu schützen.

Hier lauert die Gefahr für den Anleger, die etwa zur Flucht in „Betongold“ führt. Die Überbetonung einer Anlageklasse kann aber zu neuen Risiken führen, vor denen sich der Anleger eigentlich schützen wollte. Insofern verführen solche Begriffe zu Handlungen, die der Angst vor der Krise basieren und wenig mit einer individuell ausgerichteten Anlagestrategie zu tun haben.

Ein weiteres Financial Framing ist der dreifache „Hexensabbat“ an den Terminbörsen. Wenn am großen Verfalltermin an der Eurex die Optionen und Futures auf Aktien und Anleihen fällig werden, wird regelmäßig darüber berichtet, dass an der Börse die Hexen getanzt haben. Der Hexensabbat aktiviert den Frame von Zauberei und Zockerei. Ein Zauberer spielt und trickst mit seinem Publikum. Börse und Termingeschäfte sind aber weder Hexerei noch Zauberei. Vielmehr bewirkt die Verwendung des Begriffs eine Mystifizierung, die Anleger zu einem pauschalen Urteil über Termingeschäfte als Zockerei verführt.

Differenzierung ist angesagt. Begriffe, wie Ramschanleihen, Anlagenotstand, Betongold oder Hexensabbat, verführen Anleger zu einer pauschalen Einordnung, die der Sache nicht gerecht wird. Anleger tun gut daran, darauf zu achten, welche Deutungsmuster durch die Verwendung solcher Begriffe im Gehirn geweckt werden. Wenn daraus folgt, dass wir alle sensibler werden, was Sprachbilder bewirken und wie sie unser Denken bestimmen, dann hat eine sprachliche Aufrüstung in allen Lebensbereichen weniger negative Folgen – für Ihr Wertpapierdepot genauso wie für unsere Gesellschaft.

Über den Autor: Thomas Wüst

Thomas Wüst ist Geschäftsführer der valorvest Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG in Stuttgart.