23. Juni 2020
Zu ETFs ranken sich manche Mythen.

Von der Entzauberung einiger Mythen zur ETF-Liquidität

Die Liquidität eines ETFs zeigt an, wie leicht und einfach seine Anteile gehandelt werden können.  Aber auch als liquide geltende ETFs können bei extremen Marktbedingungen wie beispielsweise zu Beginn der Coronakrise in Schieflage geraten. Liquidität ist daher ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl von ETFs. Doch welche Messgrößen dienen zu ihrer Veranschaulichung? Es gilt, übliche Indikatoren wie ETF-Struktur, Börsenliquidität und Handelsvolumen genauer unter die Lupe zu nehmen und mit einigen Irrtümern aufzuräumen.

 Die ETF-Struktur spiegelt keine Liquidität wieder

Weit verbreitet ist beispielsweise die Ansicht, dass generell die passive Struktur eines ETFs als Maßstab zur Bewertung der Liquidität dient. Passive Investmentfonds existieren jedoch in unterschiedlichsten Formen, beispielsweise voll repliziert, synthetisch mit Swaps etc. und Größen (mehr oder weniger AUM), die wiederum eine breite Palette von Anlageklassen abbilden. Daher ist diese Verallgemeinerung nicht zulässig. Auch die Handelbarkeit von ETFs, die während des gesamten Tages („per intraday“) möglich ist, erlaubt im Unterschied zu Investmentfonds (täglich) oder bestimmten Hedgefonds (monatlich) keinen Rückschluss auf die Liquidität.

Die Börsenliquidität eines ETFs führt bei der Bestimmung der Liquidität in die Irre 

Die Liquidität eines ETFs an der Börse wird in erster Linie von den sogenannten Market Maker dargestellt. Diese agieren auf dem Primärmarkt (Emissionsmarkt), schaffen dort ETF-Anteile, lösen sie wieder ein und sichern sie ab (Kauf oder Verkauf der dem ETF zugrunde liegenden Assets). Der für den eigentlichen Handel an der Börse (Sekundärmarkt) verfügbare Betrag hängt jedoch davon ab, ob die Market Maker die zugrunde liegenden Assets des ETFs auf dem Primärmarkt leicht kaufen und wiederverkaufen können.

Vermeintlich illiquide ETFs können an einem einzigen Tag problemlos große Summen bewegen

Sobald der FTSE 100 ETF nicht nachgefragt wird und daher kein Handelsvolumen aufweist, besagt eine traditionelle Auffassung, dass der ETF illiquide sei und demzufolge von Anlegern nicht einfach gekauft oder verkauft werden könne. Ein ETF ist jedoch keine einzelne Aktie oder Anteil, sondern ein Investmentfonds, der lediglich liquide Basiswerte – die im FTSE100 enthaltenen Titel – benötigt, um auf Fondsebene liquide zu sein. So kann ein FTSE 100-ETF, bei dem ein Jahr lang gar keine Anteile gehandelt wurden, dennoch problemlos eine große Summe an einem einzigen Tag umsetzen. Beispielsweise dann, wenn der Asset Manager des ETFs 50 Millionen Dollar in die FTSE 100-Unternehmen investiert. Die gehandelten ETF-Anteile sind lediglich Indikator der Nachfrage der Anleger in diesen ETF.

Vermeintlich liquide, häufig gehandelte ETFs sind Wahrheit manchmal illiquide  

Zur Verdeutlichung der Thematik dienen auch illiquidere Basiswerte von ETFs wie beispielsweise Schrottanleihen. Unter normalen Umständen kann ein populärer ETF aus Schrottanleihen ein beträchtliches Volumen an der Börse aufweisen, wenn Anleger seine Anteile den ganzen Tag über kaufen und verkaufen. Der Basiswert ist jedoch in der Regel illiquider als beim erwähnten Aktien-ETF. Daher wird bei extremeren Marktbedingungen, wenn alle Anleger gleichzeitig verkaufen, die zugrunde liegende Anleihen-Liquidität auf den Prüfstand gestellt. Und wiederum ist das Börsenvolumen des ETF selbst kein relevanter Indikator für die Liquidität, sondern die eingeschränkte Handelbarkeit der Schrottanleihe, für die es dann vielleicht nur wenige und zudem weit voneinander entfernte Käufer gibt.

ETFs mit kleinen AUMs können sehr liquide sein

Ein häufiger Irrtum ist die Annahme, dass diejenigen ETFs mit einem geringeren verwalteten Vermögen (AUM) weniger liquide sind und es daher für einen Anleger möglicherweise risikoreicher ist, einen bedeutenden Anteil darin zu halten. Hinzu kommt das Vorurteil, dass kleinere ETFs die Verkaufsfähigkeit eines Anlegers beeinträchtigen könnten. Es kommen zudem Fragen auf, ob der ETF über genügend Vermögenswerte verfügt, um die zugrunde liegenden Bestandteile des Index effektiv zu halten und somit nachzubilden. Wenn ein ETF beispielsweise einen Index aus 1.000 Unternehmensanleihen nachbilden möchte, kann er dies mit einer Million US-Dollar möglicherweise nicht effektiv in die Tat umsetzen. Diese Thematik ist ein Sonderfall, die gesondert untersucht werden muss.

Bei einem FTSE 100-ETF mit einem verwalteten Gesamtvermögen von einer Million US-Dollar können durchaus Fragen zur Liquidität aufkommen. Aufgrund der Liquidität der vom ETF getrackten FTSE 100-Unternehmen kann ein Anleger jedoch sehr einfach 50 Millionen US Dollar an einem Tag investieren und FTSE 100-Aktien kaufen, wodurch sich das Gesamtvermögen dieses ETFs auf 51 Millionen Dollar erhöhen würde. Dabei ist es gleichgültig, ob der ETF ein Vermögen von zehn Milliarden oder einer Million Dollar verwaltet.

Ähnlich verhält es sich, wenn derselbe Anleger die investierten 50 Millionen US-Dollar, fast 100 Prozent des Gesamtvermögens am nächsten Tag zurückkaufen will, so dass eine Million US-Dollar im ETF verbleiben. Da es sich bei den zugrunde liegenden Vermögenswerten um Titel des FTSE 100 Index handelt, reichen die verbleibende eine Million US-Dollar vollkommen aus, damit der ETF seinen Betrieb fortsetzen kann.

Die Liquidität von ETFs mit hohen AUMs kann limitiert sein

Wenn ein ETF mit AUM von 100 Millionen US-Dollar Verkaufsgeschäfte von 50 Millionen US-Dollar an einem normalen einzigen Tag abwickelt, bedeutet dies eine Rücknahme der Hälfte des Gesamtvermögens. Verwaltet derselbe ETF Assets von einer Milliarde US-Dollar, bedeutet dasselbe Geschäft lediglich eine Rücknahme von fünf Prozent. Im Verhältnis zur Größe des Fonds ist die Liquidität des größeren Fonds begrenzt.

Fazit:

Entscheidend sind die unterschiedlichen Assets, die vom Fonds gekauft oder verkauft werden müssen, um genügend Liquidität zu gewährleisten, damit wiederum die Anleger Fondsanteile kaufen und verkaufen können. Jeder ETF besitzt demzufolge seine eigenen Liquiditätsmerkmale, je nachdem in welche Assets – Anleihen, Aktien, Rohstoffe, Sachwerte etc. – er investiert ist.  

Über den Autor: Anthony Martin

Anthony Martin ist Co-Gründer und Leiter des Portfoliomanagements beim auf thematische ETFs spezialisierten Asset Manager Rize ETF.