13. Juni 2020
Investment-Profi und Buchautor Gerd Kommer.

Dr. Gerd Kommer: „Ein ETF-Portfolio für Rentner braucht nur zwei ETFs“

Angehende oder aktive Ruheständler stehen vor ganz speziellen Herausforderungen. Welchen Kapitalbedarf habe ich? Wie lange reicht mein Sparvermögen? In seinem neuen Buch „Souverän investieren vor und im Ruhestand“ geht Dr. Gerd Kommer unter anderem auf genau diese Fragen ein. Im Gespräch mit Markus Jordan beantwortet Kommer einige dieser Fragen.

„Souverän investieren vor und im Ruhestand“ ist Ihr viertes Buch zur Geldanlage mit ETFs. Wie kam es zu dieser Buchidee? Und worin unterscheidet sich das Buch von Ihren anderen?

Meine bisherigen Investmentbücher haben einen gewissen Schwerpunkt auf dem Aspekt „Vermögensaufbau“. Das neue Buch richtet sich dagegen primär an Haushalte in der zweiten Lebenshälfte, also an Haushalte, die die Phase des Vermögensaufbaus bereits beendet haben oder in einigen Jahren beenden werden. Man könnte auch sagen, an Haushalte, die sich bereits in der Phase der „Vermögensnutzung“ im Ruhestand befinden oder auf diese Phase zusteuern. Vermögensnutzung bedeutet hier Vermögensbewahrung oder Vermögensverbrauch – mit und ohne Kapitalverzehr. Ich habe in dem neuen Buch versucht, alles Wesentliche zu adressieren, was für diese Anlegergruppe besonders wichtig ist.

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Wie kann man den Finanzbedarf für den Ruhestand ermitteln? Welche Punkte müssen beachtet werden?

Im Prinzip ist das eigentlich nicht schwer, aber wenn man es konkret angeht, wird man feststellen, dass der Teufel im Detail steckt und dass erst einmal eine Menge einzelner Mosaiksteinchen zusammengesetzt werden müssen, auf die ich hier aus Platzgründen nicht alle eingehen kann. Im Buch tue ich das natürlich.

An dieser Stelle nur ein kleiner Vorgeschmack: Man wählt zunächst einmal ein Alter aus, an dem man seine Berufstätigkeit aus heutiger Sicht beenden möchte. Dann muss man einen Wert für seine Lebenshaltungskosten pro Monat oder Jahr in heutigem Geld festlegen. Das kann man aus den gemittelten Ausgaben der vergangenen zwei Jahre relativ gut ableiten.

Dann muss ich die relevante Restlebenserwartung ermitteln. Hierbei wird nach meiner Wahrnehmung häufig der Fehler gemacht, die normale statistische Restlebenserwartung zu verwenden, die man leicht im Internet berechnen kann. Diese mittlere Restlebenserwartung wird ein Mensch aber mit einer 50-prozentigen Wahrscheinlichkeit übertreffen. Ich muss also eine Restlebenserwartung berechnen, die ich nur mit einer zehnprozentigen Wahrscheinlichkeit übertreffen werde, und die ist vermutlich drei bis sechs Jahre höher. An diesem Punkt weiß ich, wie viel Vermögen ich bilden muss, wenn ich ab dem Beginn meines Ruhestands eine Nullrendite mit diesem Vermögen erziele. Das ist eine erste interessante Orientierungsmarke.

Den Barwert meiner gesetzlichen Rente bei Rentenbeginn muss ich ebenfalls wissen, da ich diesen Vermögenswert nicht durch weitere Sparbemühung gesondert erzeugen muss. Das alles ist noch nicht die komplette „Story“, aber schon mal der größte Teil der „Einleitung“. Das Buch geht über diese Basics weit hinaus.

Vor welchen speziellen finanziellen Herausforderungen stehen Rentner in der Rentenphase?

Eine zentrale Herausforderung für Haushalte, deren Vermögen und Einkommen unter dem Durchschnitt oder nahe am Durchschnitt liegt, besteht darin, den maximal möglichen Lebensstandard zu ermitteln und auch umzusetzen, während diese Haushalte gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit hinreichend nach unten managen müssen, vor ihrem Ableben pleite zu sein. Eine andere Herausforderung besteht darin, mit der „Nichtverbrauchbarkeit“ der Substanz in einer selbst genutzten Immobilie finanziell klug umzugehen. Für Haushalte, die sehr wohlhabend sind, existieren wiederum ganz andere Herausforderungen, die ich auch in dem Buch adressiere.

Sie raten Rentnern, nach Ihrem bekannten Weltportfolioansatz zu investieren. Können Sie diesen kurz zusammenfassen?

Der Weltportfolioansatz hat für Ruhestandshaushalte mindestens fünf nennenswerte Vorteile: Erstens, er ist supereinfach und -transparent. Zweitens, seine Kosten sind konkurrenzlos niedrig. Drittens, man kann die Rendite-Risiko-Kombination des Depots präzise so einstellen, wie man sie haben möchte und kann diese mit abnehmendem Anlagehorizont über die Jahre hinweg stufenweise senken. Viertens, diese Art zu investieren bietet den maximalen Liquiditäts- und Flexibilitätsgrad. Fünftens, der Ansatz basiert auf soliden etablierten Erkenntnissen aus der wissenschaftlichen Finanzökonomie und nicht auf persönlichen Meinungen und Anschauungen eines einzelnen Finanzunternehmens. Diese Gewissheit gibt Seelenfrieden.

Wie pflegeaufwendig ist ein ETF-Portfolio für Rentner?

Ein simples ETF-Portfolio für Rentner braucht eigentlich aus nur zwei ETFs zu bestehen. Einem global diversifizierten Aktien-ETF und einem Anleihen-ETF, das als Risikoanker dient. Wenn der Risikoanker in Euro gerechnet nur wenige 100.000 Euro umfasst, dann kann man dieses Geld statt in einen Anleihen-ETF in ein Tagesgeld innerhalb der staatlichen Einlagensicherung investieren. Mehr Einfachheit, weniger Pflegeaufwand und mehr Kontrolle geht nicht. Darüber hinaus sollte der Haushalt die feste Regel beachten, nur alle zwei Monate ins Depot zu schauen. Nur alle vier Monate wäre noch besser und nur alle sechs Monate am besten.

Tipp: Schauen Sie sich dazu passend die extraETF Weltportfolios an. Diese setzen sich aus nur zwei ETFs zusammen. 

Für einige wird Ihr Buch zu spät erschienen sein. Die haben in der Vergangenheit nicht ausreichend gespart und nun ist es zu spät. Was können Sie diesen Personen raten?

Das Buch enthält einen Abschnitt mit dem Titel „Wenn Ihr Plan A nicht funktioniert, dann braucht es einen Plan B“. In diesem Abschnitt geht es um genau diese Fälle. Sie werden im Buch noch unterschieden in Haushalte vor dem Eintritt in den Ruhestand, also noch berufstätige Haushalte, und Haushalte, die sich bereits im Ruhestand befinden. Allerdings – und das dürfte niemanden überraschen – sind die Handlungsoptionen, die in solchen Konstellationen verbleiben, ausnahmslos schmerzhaft oder schwierig umzusetzen.

Sollten Anleger wegen den Unsicherheiten rund um Corona erst mal abwarten, bevor sie mit dem Vermögensaufbau beginnen?

Abwarten, bis irgendeine vermeintlich wichtige Entwicklung in den Märkten abgeschlossen ist, ist im Hinblick auf Vermögensbildung und Altersvorsorge immer falsch. Millionen von Haushalten bleiben mit dieser und ähnlichen Ausreden Jahre oder Jahrzehnte am Spielfeldrand der sinnvollen Vermögensbildung und Altersvorsorge stehen. Sie verpassen langfristige Aufwärtsentwicklungen bei Aktien und den Zinseszinseffekt. In Wirklichkeit existiert überhaupt kein rational überzeugender Grund, nicht jetzt sofort mit wenigstens einem kleinen Teil seines Vermögens in einem global diversifizierten Aktieninvestment loszulegen. Aktien sind die ertragreichste aller Asset-Klassen. In dieser Hinsicht kann Corona jetzt nur eine Ausrede sein.

Podcast-Tipp: Dr. Kommer im Gespräch mit Markus Jordan: