1. Oktober 2018
Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.

Robert Halver: "Riester und Rürup überzeugen so wenig wie Bauchschmerzen"

Die Deutschen setzen immer noch auf Anlageprodukte, die kaum Zinsen abwerfen. Eine sinnvolle Altersvorsorge lässt sich damit nicht bewerkstelligen. Wir fragen nach bei Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.

Herr Halver, Sie bezeichnen Sparbücher, Festgelder und Anleihen als No-Go-Anlagezonen. Wieso eigentlich und warum sind diese Anlageformen dennoch so beliebt bei den Deutschen?

Die Beliebtheit von Zinsanlagen liegt an unserem deutschen Sicherheitsstreben. Zinssparer – das sind fast 80 Prozent der deutschen Anleger – wollen kein Verlustrisiko eingehen. Sie haben noch die Aktieneinbrüche nach dem Platzen des Neuen Markts und der Immobilienblase in schlechter Erinnerung. Dagegen bleibt der Zinsanlagebetrag unberührt, immer gleich. Leider ist das nur eine Nominalillusion. Die Finanzwelt ist hoffnungslos überschuldet. Um keinen Super-Gau zu riskieren, müssen die Notenbanken die Schuldentragfähigkeit mit günstigsten Kreditzinsen erhalten. Und da die Schulden ungehindert zunehmen, ist ein Ende der geldpolitischen Rettung nicht in Sicht. Die Kehrseite dieser Rettungsaktionen ist, dass ebenso die Anlagezinsen niedrig sind, so niedrig, dass sie unterhalb der Inflation liegen. Real verdient man also nicht nur nichts, sondern man erlebt Vermögensschmälerung. Die Schuldenkrise ist die Guthabenkrise der Zinssparer. Man wird entreichert. Das ist keine Altersvor-, sondern Altersentsorge. Nicht umsonst ist das Vermögen der Deutschen im Jahr 2017 das erste Mal seit vielen Jahren wieder geschrumpft. Der Weltspartag wird nie mehr ein Freudentag sein. Er wird zum Volkstrauertag der Zinsanleger.

Überhaupt, Staatspapiere waren in der Finanzgeschichte nie heilige Kühe. Ein ums andere Mal wurden sie geschlachtet. Insgesamt ist die deutsche Altersvorsorge mit Zinspapieren eine tickende Zeitbombe.

Wie stehen Sie in Sachen Altersvorsorge zu bekannten Produkten wie Riester und Rürup, die schließlich häufig beworben werden?

Riester * und Rürup sind bürokratisch aufgepumpt, unflexibel und die Zulagen viel zu kompliziert geregelt. Die eingezahlten Beiträge sind zwar sicher, aber diese Sicherheit hat den Preis, dass trotz langlaufender Verträge auf Rendite verzichtet wird. Denn es wird vor allem wieder in unattraktive Zinspapiere mit der „Sicherheit“ eines Realverlustes angelegt. Es bleiben also nicht einmal die eingezahlten Beiträge übrig. Vermögensschmälernd wirken sich zusätzlich die Gebühren, Vertriebs- und Abschlussprovisionen sowie Verwaltungskosten aus. Riester und Rürup überzeugen als Anlageform so wenig wie Bauchschmerzen.

Viele Bürger halten Aktienanlagen für ein Privileg Wohlhabender. Macht es für Gering- und Durchschnittsverdiener überhaupt Sinn die Altersvorsorge auf Aktien-ETF-Basis aufzubauen? Und wenn, ja in welcher Form?

Die deutsche Aktienmuffelei ist grundfalsch. Das liegt auch an ideologisierten Politikern, die Aktien als Teufelszeug brandmarken. Mit Blick auf ihre privilegierten steuerfinanzierten Altersbezüge müssen sie ja auch keine Angst vor Altersarmut machen. Gerade Otto Normal-Bürger sollten sich das Privileg einer ausreichenden Altersvorsorge mit Aktien nicht entgehen lassen. Auf unseren börsennotierten deutschen Aktiengesellschaften fußen seit Jahrzehnten jede Menge Wohlstand und gute Arbeitsplätze. Was ist also falsch daran, sich an diesem substanzstarken Produktivvermögen zum Zweck der Alterssicherung zu beteiligen? Übrigens, im Gegensatz zu deutschen Staatspapieren überstanden zum Beispiel Daimler und Siemens zwei Weltkriege.

Natürlich schwanken Aktien. Doch selbst von den größten Einbrüchen haben sie sich nicht nur erholt, sondern sind immer wieder zu neuen Höhen aufgestiegen. Allen Schwächephasen wie z.B. Dotcom-, Immobilien- oder Euro-Krise zum Trotz hat etwa der deutsche Leitindex Dax seit seiner Einführung vor 30 Jahren eine durchschnittliche Rendite von 8,6 Prozent erzielt.

Dabei sind ETFs eine ausgezeichnete Möglichkeiten, auch mit kleinem Geld und im Vergleich zu anderen Anlageformen günstiger anzusparen. Da sie auf einer Vielzahl von Aktien oder auf großen Leitindizes basieren, wird das Einzeltitelrisiko minimiert.

Was raten Sie Haushalten, die ihre Altersvorsorge mit ETF-Sparplänen umsetzten möchten, hinsichtlich der Produktauswahl?

Zur Risikobegrenzung kann der Anlagefokus auf Aktien-ETFs aus dem Euro-Raum liegen, um Währungsverluste zu verhindern. Bei der Produktauswahl sollten die eher sicherheitsorientierten Anleger schwerpunktmäßig auf Aktienindizes mit langfristig robustem Geschäftsmodell setzen: Essen, Trinken, Wohnen, zum Onkel Doktor gehen, Mobilität oder Kommunikation sind stabilste menschliche Grundbedürfnisse, die immer befriedigt werden müssen.

Zusätzlich bieten diese Titel typischerweise hohe Dividenden, die im Ansparzeitraum die verloren gegangene Sinnlichkeit des Zinseszinseffekts durch den Genuss des Wiederanlageeffekts von Ausschüttungen ersetzen. Schon der Dax als sicher nicht dividendenstärkster Aktienindex hat eine durchschnittliche Dividendenrendite von 2,7 Prozent. In der Eurozone sind auch vier Prozent möglich, bei einem reinen Dividendenindex sogar fünf. Nicht zuletzt haben dividendenstarke Aktien eine sehr kursstabilisierende Wirkung.

Welche Fehler gilt es in der Ansparphase zu vermeiden?

Die Anleger dürfen auf keinen Fall bei sinkenden und schwankenden Kursen die Flinte ins Korn werfen, das heißt Ansparpläne abrupt beenden. Denn solche vermeintlich harten Aktienzeiten machen regelmäßige monatliche Sparpläne auf Aktien-ETFs erst so richtig attraktiv. Ich nenne das die Kraft der zwei Herzen: In sinkenden Kursphasen erhält man erstens für den gleichen Sparanteil mehr Aktienanteile, die zweitens bei Börsenerholung das gesamte Aktienvermögen anheben wie die Flut ein Schiff. Im Einkauf liegt auch hier der Gewinn. Bei Sparplänen heißt die Devise also: durchhalten, durchhalten, durchhalten. Dann kann man es längerfristig nicht verhindern, ein ordentliches Vermögen mit guter Rendite zum Wohl der Altersvorsorge aufzubauen.

Sicherlich schlagen Kursverluste bei wachsendem Aktienvermögen in immer größerem Ausmaß negativ zu Buche. Bei nahendem Auszahlungsbeginn sollten daher das Aktienrisiko heruntergefahren und Kursgewinne durch Verkäufe immer mehr realisiert werden.

Lesetipp: In der Oktober-Ausgabe des EXtra-Magazins behandelt die Titelgeschichte ausführlich das Thema „Altersvorsorge mit ETFs“.