4. Februar 2019
Ute Mowitz-Rudolph, Geschäftsführerin des Verbraucherservice Bayern.

Ute Mowitz-Rudolph: "Wir fordern ein digitales Rentenkonto"

Der Verbraucherservice Bayern (VSB) steht für anbieterunabhängige Verbraucheraufklärung. Der Verband setzt sich unter anderem für ein digitales Rentenkonto ein. Wir fragen bei Geschäftsführerin Ute Mowitz-Rudolph, was es mit dem digitalen Rentenkonto auf sich hat und worauf Verbraucher bei der Altersvorsorge unbedingt achten müssen.

Frau Mowitz-Rudolph, Sie fordern ein digitales Rentenkonto. Wie soll das konkret aus Verbrauchersicht aussehen und ablaufen?

Nur jeder dritte Deutsche kennt seine zukünftigen Rentenansprüche. Unser Rentensystem setzt voraus, dass die Bürgerinnen und Bürger auch Eigenvorsorge betreiben und die gesetzliche Rente durch betriebliche und private Altersvorsorgeprodukte ergänzen. Dazu muss die Einschätzung der finanziellen Situation im Alter so realistisch wie möglich sein.

In unserem Beratungsalltag stellen wir fest, dass unübersichtliche und für durchschnittlich informierte Verbraucher unverständliche Standmitteilungen der Versicherungen zu Altersvorsorgeprodukten die Eigenvorsorge erschweren oder sogar verhindern.

Der VSB fordert deshalb die Einführung eines digitalen Rentenkontos, in dem für jeden Einzelnen alle wichtigen Informationen zu seinen gesetzlichen, betrieblichen und privaten Altersvorsorgeverträgen standardisiert, übersichtlich und verständlich zusammengefasst sind. Damit ist mehr Transparenz über Rendite-Versprechen gegeben und die Hürde für eigenverantwortliches Handeln gesenkt.

So könnten Verbraucher einerseits per Mausklick jederzeit den Status ihrer Rentenansprüche und ihrer voraussichtlichen Versorgungslücke abrufen und andererseits durch regelmäßige digitale Rentenmitteilungen sensibilisiert werden, um noch rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen.

Das digitale Rentenkonto muss aus Verbrauchersicht eine unabhängige und frei von kommerziellen Interessen getragene Online-Plattform sein, die höchsten Sicherheits- und Datenschutzstandards entspricht – einfach für die Nutzer und verbindlich für die Anbieter. Den dort erfassten Vorsorgeprodukten muss für die Hochrechnung der Rendite und der künftigen, voraussichtlichen Rentenansprüche derselbe Rechenkern, das heißt dieselben Annahmen zur Entwicklung von beispielsweise Inflation, Zinsen und durchschnittlicher Lebenserwartung, zugrunde liegen.

Die Daten zu den Vorsorgeprodukten sollen nicht zentral gespeichert, sondern bei jedem Einloggen von den verschiedenen Altersvorsorgeanbietern einzeln abgerufen werden. Auf diese Weise stehen die Daten immer aktualisiert zur Verfügung. Im Idealfall sind diese grafisch aufbereitet, so dass die voraussichtliche Entwicklung der persönlichen Rentenansprüche schnell erkennbar ist. Für den Einblick in das Rentenkonto müssen Verbraucher alle Endgeräte nutzen können, also Smartphone, Tablet, Laptop oder PC. Auch eine erweiterte Nutzungsmöglichkeit für die Berücksichtigung von Alterseinkünften aus Immobilien halten wir für hilfreich.

Braucht es noch konkrete Handlungsempfehlungen oder ist das dann eher die Aufgabe privater Anbieter?

Auch mit der Einführung eines digitalen Rentenkontos werden Verbraucher noch nach Handlungsempfehlungen in Punkto geeigneter Altersvorsorge suchen oder diese brauchen. Das Leitbild des mündigen Verbrauchers, das in Politik und Wirtschaft gerne zitiert wird, trifft nicht auf alle Verbraucher in jeder Lebenssituation zu. Als Verbraucherverband hat der VSB ein differenziertes Verbraucherleitbild, das von kompetent bis hin zu verletzlich reicht. Mit Hilfe des digitalen Rentenkontos können Verbraucher sogar noch passgenauer auf ihre persönliche Lebenssituation abgestimmt Rat suchen oder Bildungsangebote zur Stärkung ihrer Finanzkompetenz wahrnehmen.

Der VSB fordert seit langem die Abschaffung der provisionsbasierten Finanzanlage- und Versicherungsberatung. Es ist erwiesen, dass Provisionen die Verkäufer nicht selten zur Empfehlung und zum Verkauf von für den Kunden weniger oder gar ungeeigneten Produkten verleiten.

Bei uns erhalten Ratsuchende immer Hilfe zur Selbsthilfe, die neutral, kompetent und unabhängig von Verkaufsinteressen ist.

Wichtig ist beim Vermögensaufbau sicher die Hauptfehler auszuschalten. Auf welche Produkte sollten Verbraucher, die ihre Rentenlücke schließen möchten, auf keinen Fall setzen? Welche Fehler gilt es zu vermeiden?

Wichtig ist die Erkenntnis, dass die beitragsdefinierte gesetzliche Rente nicht den gewohnten Lebensstandard im Alter sichern kann. Deshalb ist es immer notwendig, die voraussichtliche Rentenlücke, das heißt die Differenz zwischen dem aktuellen Einkommen und den zukünftigen Bezügen im Ruhestand aus allen Quellen, wie gesetzliche, betriebliche und private Altersvorsorgeleistungen zuzüglich Sparkonten u.a. zu berechnen. Weder Fatalismus und Nichtstun noch Aktionismus sind geeignete Maßnahmen, eine errechnete Rentenlücke zu schließen.
Altersvorsorgeprodukte sollten bedarfsgerecht und flexibel sein, wenn sich die Lebensplanung oder –umstände ändern. Sie müssen sich an die Sparer anpassen können und nicht die Sparer an die Sparprodukte. Viele unterschätzen auch, dass sich die durchschnittliche Rentenbezugszeit in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt hat. Deshalb darf man nicht zu spät mit dem Vorsorgevermögensaufbau anfangen.

Frauen werden im aktuellen beitragsfinanzierten Rentensystem besonders benachteiligt (Gender-Gap). Die fehlenden Rentenpunkte wegen Kindererziehung, Teilzeitarbeit oder Pflegezeiten können kaum ausgeglichen werden. Frauen brauchen daher mehr eigene Vorsorge in der betrieblichen und privaten Altersvorsorge!

Die meisten Verbraucher suchen nach wie vor sichere Produkte mit geringem Risiko, haben aber gleichzeitig unrealistisch hohe Erwartungen an die Rendite. Das verleitet zu unüberlegten Anlageentscheidungen. Die lang andauernde Niedrigzinsphase verunsichert sie massiv.

Garantieprodukte und Zinsanlagen wie Tagesgeldkonten und Sparbücher können in der aktuellen Niedrigzinsphase nur schwer zum Vermögensaufbau beitragen, da es den Zinseszinseffekt nicht mehr oder kaum noch gibt.

Die Kapitallebensversicherung, die klassische Altersvorsorge der Vergangenheit ist kostenintensiv und zunehmend renditeschwach. Dass die neuen Policen überwiegend ohne Garantiezins angeboten werden, irritiert die Vorsorgesparer zusätzlich.

Komplexe, intransparente Produkte wie geschlossene Fonds oder Nachrangdarlehen, die hohe Kosten verursachen oder ein hohes Totalverlustrisiko bergen, sind keine geeigneten Altersvorsorgeprodukte.

Häufig beobachten wir, dass Verbraucher ihr Anlagerisiko nicht genügend streuen oder sich von Werbekampagnen für „Mode-Investments“ in Immobilien oder Gold beeinflussen lassen.

Die wichtigste Botschaft ist aus unserer Sicht: Mit der eigenen Altersvorsorge muss man sich nicht nur ein- oder zweimal im Leben beschäftigen, sondern sie regelmäßig in den Blick nehmen und das Leistungsversprechen, Anpassungsbedarf und -möglichkeiten prüfen.

Und was sind dagegen Produkte und Wege, um effektiv für das Alter vorzusorgen?

In Zeiten von Dauer-Niedrigzinsen und steigender Lebenserwartung ist ein Paradigmenwechsel in der Altersvorsorge notwendig. Wertpapiersparpläne, besonders die kostengünstigen ETFs (Exchange Traded Funds) mit überschaubarem Risiko und durchaus ansehnlicher Rendite sind im langfristigen Altersvorsorgevermögensaufbau ein wichtiger Baustein! Durch die breite Streuung in Aktien und durch den Cost-Average-Effekt minimieren Fondssparpläne Kursrisiken weitgehend. Die hohe Liquidität und Transparenz, die einfache Indexverfolgung über Internet oder Printmedien, machen diese Wertpapiere auch für Altersvorsorgesparer mit schmalem Portemonnaie und ohne vertiefte Börsenkenntnisse geeignet. Leider sind kostengünstige Indexfonds im klassischen Bankenvertrieb schwer erhältlich, da sie aufgrund geringer Marge uninteressant sind.

Immer mehr Verbraucher, u.a. die Generation der sogenannten Best-Ager (Ü50) und die Millenials entdecken die zeitsparende Altersvorsorge durch Robo-Advice. Obwohl Langzeiterfahrungen noch fehlen, bestechen die digitalen Robo-Advisors durch ihre praktikable Benutzeroberfläche, günstige Kostenstruktur, breite Diversifikation und attraktive Performance. Dennoch sollten Anleger die Wertpapierrisiken nicht außer Acht lassen. Auch gilt: Die Maschinen treffen ihre Investmententscheidung völlig emotionslos. Das kann Vorteile und Nachteile haben.

Die VSB Finanzberatung klärt die Verbraucher über die Funktionsweise, Chancen und Risiken der Geldanlageformen neutral auf. Verbraucher können die Produkte für ihre Altersvorsorge dann bedarfsgerecht selbst auswählen.

Was sind abschließend ihre Forderungen als Verbrauchereinrichtung in Richtung Politik, um Bürgern das Thema Geldanlage und Vermögensaufbau näher zu bringen?

Die Menschen sind durch die Anlagevielfalt oft überfordert. Fehlendes Finanzwissen und nicht stringentes Sparverhalten verursachen gesamtwirtschaftliche Schäden. Für die Altersvorsorge muss die Politik mehr Akzeptanz mit bildungspolitischen Maßnahmen schaffen, damit die Bürgerinnen und Bürger das Drei-Säulen-Rentensystem und seine Stellschrauben besser verstehen.

Finanzbildung durch unabhängige Finanzexperten muss in jedem Lebensalter und jeder Lebenslage leicht zugänglich und insbesondere in der Schule verbindlich verankert sein. Hier muss der Grundstein mit einer gewissen Basis-Finanzbildung gelegt werden, auf die später in jeder Lebenslage nach individuellem Bedarf aufgebaut werden kann. Der Bildungsauftrag ist auch eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben des Verbraucherservice Bayern.