11. April 2020
Der ETF als Fels in der Brandung.

Die Innovation von einst stabilisiert heute die Kapitalmärkte

Kein anderes Finanzprodukt hat in Deutschland einen so steilen Aufstieg erlebt wie der ETF. Seit vor 20 Jahren am 11. April 2000 die ersten beiden ETFs an der Deutschen Börse gelistet wurden, ist ihre Zahl auf 1.500 ETFs gestiegen. Mit diesem Wachstum ist Deutschland zum größten und liquidesten ETF-Handelsplatz in Europa geworden. Mittlerweile werden rund 800 Milliarden Euro in Europa in ETFs verwaltete, trotz der heftigen Kursverluste im Zuge der Corona-Pandemie.

Das stark gewachsene verwaltete Volumen in ETFs ist aber nur ein Teil der Erfolgsstory. Viel wichtiger ist die qualitative Weiterentwicklung: ETF-Anbieter übernehmen mittlerweile eine wichtige Funktion beim Thema Stewardship, also der treuhänderischen Verwaltung der Assets für ihre Investoren, zum Beispiel bei der Ausübung der Stimmrechte. Eine Umfrage unter 127 Pensionsfonds weltweit durch das CREATE Research hat die gestiegene Bedeutung von Stewardship für ETF-Anleger bestätigt. Da passive Anlagen naturgemäß kein Alpha generieren können, sind Pensionsfonds bestrebt, ihre Beta-Qualität durch ein besseres Stewardship – das einen effektiven Dialog mit den Beteiligungsgesellschaften fördert – zu erhöhen.  Sechs von zehn Pensionsfonds halten Stewardship für „sehr wichtig“, während acht von zehn erwarten, dass die Stewardship-Anforderungen an ihre passiven Vermögensverwalter künftig steigen werden. Insgesamt halten ganze 84 Prozent Stewardship-Praktiken für entscheidend, um die Qualität von Beta zu verbessern.

Investoren achten heute zudem besonders darauf, ob die Aktionärsrechte in diesem Sinne vertreten werden, damit sie positive Auswirkungen auf Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environment, Social, Governance, ESG) zumindest unterstützen. Auch hier spielen ETF-Gesellschaften eine besondere Rolle, sie haben sogar eine doppelte Funktion: Sie können zum einen über die Wahrung der Aktionärsinteressen grundsätzlich Entwicklungen in diese Richtung fördern. Sie bieten zum anderen aber auch verstärkt ETFs an, die streng nach ESG-Kriterien investieren.

Investments anhand von ESG-Kriterien haben mittlerweile eine breite gesellschaftliche Bedeutung erlangt. Ein Beispiel ist der von der EU initiierte Aktionsplan, um die Finanzierung einer nachhaltig ausgerichteten Wirtschaft voranzutreiben. Daher ist es kein Wunder, dass das Abstimmungsverhalten von Fondsgesellschaften bei ESG-relevanten Anträgen mittlerweile im Detail untersucht wird. So hat Morningstar analysiert, dass viele Fondsgesellschaften, die überwiegend in Europa beheimatet sind, in bis zu 87 Prozent der Fälle bei Anträgen mit Bezug zu Umweltschutz und sozialen Themen positiv abgestimmt haben. Auch bei Anträgen, die von den jeweiligen Aktiengesellschaften einen Plan einfordern, den CO2-Ausstoß langfristig zu managen und Alternativen zu fossilen Energieträgern voranzutreiben, zeigt sich ein ähnliches Bild. Hier haben aus Europa stammende Asset-Manager weit überwiegend für entsprechende Anträge gestimmt. Auch wenn bei Asset-Managern aus dem angelsächsischen Raum die Zustimmungsrate mitunter deutlich geringer ist – es hat sich gezeigt, dass sich die ETF-Anbieter als wichtiger und wachsender Teil der Finanzbranche insgesamt durchaus ihrer Verantwortung für die Gesellschaft und der Auswirkung ihres Handelns auf die Umwelt bewusst ist.

Dieses gestiegene Verantwortungsbewusstsein macht deutlich, dass ETFs mitnichten nur passive Marktteilnehmer sind. Vielmehr konnte gerade bei den aktuellen Marktverwerfungen seit Ende März die stabilisierende Wirkung eines starken ETF-Marktes beobachtet werden. ETFs wurden beispielsweise in Phasen extremer Volatilität von Investoren als Preisindikation genutzt. Teilweise war es in bestimmten Segmenten – wie Aktien aus Schwellenländern oder Hochzins-Unternehmensanleihen – nicht möglich, für Einzelwerte aktuelle Preise zu erhalten. Bei den entsprechenden ETFs auf diese Märkte fand aber ein Handel statt, da sich für Käufe und Verkäufe von ganzen Wertpapierkörben in Form von ETF-Anteilen immer noch Investoren fanden. Über den ETF-Handel konnten Investoren weiterhin eine zuverlässige Indikation zu Preisschwankungen erhalten.

Ein Indiz für das weiterhin bestehende Investoren-Vertrauen in ETFs ist, dass – angesichts des Ausmaßes der Marktreaktionen – die Abflüsse im ETF-Segment in Europa begrenzt waren. Das betreffende Volumen betrug im März deutlich weniger als fünf Prozent des gesamten ETF-Vermögens bei Aktien bzw. Obligationen. Eine weitere, trotz aller Dramatik beruhigende Erkenntnis war, dass die ETF-Märkte auch in der Phase der höchsten Volatilität reibungslos funktioniert haben. Auch wenn es von einigen Marktteilnehmern immer noch bezweifelt wird: Durch den Sekundärmarkt für ETF-Anteile sorgen ETFs gerade in Krisenzeiten für zusätzliche Liquidität und Transparenz für Investoren.

Fazit: Der ETF-Markt in Deutschland ist endgültig erwachsen geworden und nimmt seine Verantwortung wahr und hat sich zu einem wichtigen Pfeiler für die Märkte entwickelt. Die Weichen für weiteres Wachstum sind gestellt.

Über den Autor: Simon Klein

Simon Klein, Leiter der Abteilung Passive Sales, Europe & Asia Pacific, DWS. Klein ist seit dem Start des ETF-Handels in Deutschland in verschiedenen Positionen mit dem ETF-Geschäft aufs Engste verbunden, seit 2013 als Leiter des Vertriebs für passive Anlageprodukte in Europa und Asien für die DWS.