24. Februar 2012

Ist der Staat klüger als die Privaten?

Der Staat geht derzeit eine Wette ein, die sich nur weni­ge Privatleute trauen. Angesichts der niedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten sind viele private Investoren mit neuen Engagements in festverzinslichen Wertpapieren vorsichtig. Sie kaufen allenfalls Titel mit kurzen und mitt­leren Laufzeiten oder Unternehmensanleihen. Häuslebauer nehmen langfristige Kredite auf oder schreiben die Zinsen für variable Kredite fest.

  • Privatpersonen haben in ihrem Anlage- und Kreditverhalten in den letzten Jahren mehr­heitlich darauf gesetzt, dass die Zinsen bald wieder steigen. Der Staat dagegen geht bei seinem Finanzierungsverhalten eher von sin­kenden Sätzen aus.

  • Bisher lag der Staat richtig, die Privaten nicht.

  • Es fragt sich, ob das so bleibt. Mir wäre woh­ler, wenn der Staat seine Zinsrisiken bei der Kreditaufnahme zurückfahren und mehr langfristige Mittel aufnehmen würde.

Ganz anders der Staat. Eigentlich würde man erwarten, dass er die niedrigen Zinsen nutzt, um die Laufzeit sei­ner Verschuldung zu verlängern. Es müsste jede Menge neuer 10- und 30-jähriger Bundesanleihen geben. So billig bekommt der Staat langfristige Mittel vermutlich lange nicht mehr. Tatsächlich hat der Bund in Deutsch­land die Struktur seiner Kreditmarktverschuldung in den letzten Jahren aber kaum verändert. Der Anteil langfris­tiger Kreditaufnahmen (über vier Jahre) liegt mit derzeit 49,6 % nur leicht über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre (von 48,6 %). Der Anteil kurzfristiger Papiere (unter einem Jahr) ist mit 19,9 % sogar etwas höher (19,7 %). Nur gegenüber den sehr niedrigen Werten 2009 hat sich eine leichte Verlängerung der Laufzeit der Verschuldung ergeben.

Objektiv gesehen lag der Staat mir seiner Strategie gold­richtig. Die Vorsicht der Privaten führte dazu, dass sie die Hausse der letzten Jahre an den Bondsmärkten ha­ben. Der deutsche Rentenmarktindex REX ist im ver­gangenen Jahr mit einem Plus von 10 % wesentlich bes­ser gelaufen als manche andere Anlage. Manch ein Häuslebauer hätte sich billiger verschulden können, wenn er noch etwas gewartet hätte.

Umgekehrt war der Staat in der Lage seine Zinsausga­ben deutlich zu senken. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben hat sich von 11,3 % auf 8,3 % verrin­gert. Zeitweise hat der Bund in den letzten Monaten kurzfristiges Geld sogar zu Negativzinsen aufnehmen können. Wenn die Zinsausgaben sich so wie die Ge­samtausgaben entwickelt hätten, müssten Bund, Länder und Gemeinden heute EUR 25 Mrd. mehr ausgeben. Der Steuerzahler sollte der Finanzagentur, die die Kre­ditaufnahme für den Bund managt, auf Knien danken.

Der Staat geht damit freilich ein erhebliches Risiko ein. Wenn die Zinsen am Kapitalmarkt ansteigen sollten, dann kommt er schnell in die Bredouille. Bei einer Ge-samtverschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden von über EUR 2.000 Mrd. bedeutet ein Zinsanstieg um einen Prozentpunkt über alle Laufzeiten, langfristig Mehrausgaben von EUR 20 Mrd. Das sind 0,8 Maas­tricht-Prozentpunkte.

Wie ist dieses Risiko einzuschätzen? Es gibt eine große Anzahl von Fundamentalfaktoren, die derzeit für anhal­tend niedrige, vielleicht sogar noch geringere Zinsen sprechen. Die Inflationsrate geht zurück. Die Konjunktur ist schwächer. Damit werden weniger Kreditmittel von der Privatwirtschaft gebraucht. Die Liquidität ist hoch und wird eher noch weiter zunehmen. Ende Februar kommt ein neuer 3-Jahres-Tender der Europäischen Zentralbank. EZB-Präsident Draghi hat die Banken ermutigt, sich daran ausreichend zu beteiligen. Die No­tenbankzinsen werden auf absehbare Zeit nicht steigen. Vielleicht werden sie auch noch um einen halben Pro­zentpunkt zurückgenommen. Zudem fließen immer noch Gelder aus den Problemregionen des Eurogebiets in deutsche Bundesanleihen als „sicherer Hafen“.

Das Argument, dass die Zinsen schon so niedrig sind, dass sie nicht mehr fallen können, zieht nicht. In Japan sind die Renditen von Staatsanleihen auch 2011 von niedrigem Niveau noch einmal gefallen. Sie liegen in­zwischen bei 1 %. In der Schweiz war es im letzten Jahr sogar noch drastischer. Die Renditen der Obligationen sind von 1,5 % auf 0,5 % gefallen.

Andererseits: Das, was wir an den Bondsmärkten se­hen, ist zweifelsohne eine Blase. Die langfristigen Zin­sen sind zu niedrig. Bei einem realen Wachstum von 1 % und einer Preissteigerung von 2 % sollten sie ei­gentlich bei 3 % liegen, also 100 Basispunkte höher. Real sind die Sätze gemessen an der Preissteigerung im Euroraum derzeit null. Zudem gibt es einen Refinan­zierungsbedarf in Europa wie schon lange nicht mehr. Nicht nur die Staaten brauchen Geld, um fällige Schul­den tilgen zu können, auch die Banken. Unternehmen, auch Mittelständler, gehen vermehrt direkt an den Kapi­talmarkt, um unabhängig von den Banken zu sein. Schließlich: Wenn sich die Lage in Europa normalisieren und Vertrauen wiederkehren sollte, könnte es sein, dass Fluchtgelder aus Südeuropa auch wieder zurück in ihre Heimat fließen. Die Mehrheit der Analysten in den In­vestmenthäusern rechnen, wenn ich es richtig sehe, für den Verlauf dieses Jahres mit steigenden Zinsen.

Für den Anleger

Wenn man die Argumente der Zinsdiskussion abwägt, spricht in der Tat mehr dafür, dass die Zinsen niedrig bleiben, als dass sie steigen. Das hieße, dass der Staat Recht hat und die Privaten Unrecht haben. Freilich muss man auch die Risiken sehen. Für Private lohnt eine In­ves­tition in längerfristige Bonds nur, wenn die Zinsen weiter sinken, es also Kursgewinne gibt. Das ist denk­bar, aber unsicher. Ich würde Anlegern zu Engagements im Rentenmarkt nur raten, wenn sie traden, das heißt ihre Position auch schnell auflösen können. Für den Staat reicht es aus, dass die Zinsen unten bleiben und er noch eine gewisse Zeit von den niedrigen kurzfristi­gen Zinsen profitieren kann. Die Wahrscheinlichkeit da­für ist nicht gering. Angesichts der großen Volumina, die ein schneller Reagieren schwer machen, wäre mir frei­lich wohler, wenn der Staat jetzt mehr langfristige Mittel aufnehmen würde. Es würde dem Vertrauen in die Soli­dität der Staatsfinanzen gut tun.